Cagot
Mal zwei Türen. Und zwei Friedhöfe. Zwischen allen diesen Kirchen gibt es einen Zusammenhang. Aber worin besteht er genau …?«
David zuckte hilflos mit den Achseln.
»Für zwei Türen ließe sich ja vielleicht noch eine Erklärung finden - aber für zwei Weihwasserbecken? Daraus werde ich einfach nicht schlau.« Er seufzte. »Und dann noch dieses komische Symbol. Der Gänsefuß. Ich kann mir das nicht erklären.«
Ein lautes Zischen unterbrach ihre Unterhaltung.
Es war der Priester.
Der alte Mann war ganz plötzlich neben David aufgetaucht und zupfte ihn am Ärmel. Er sprach mit einem starken französischen Akzent, aufgeregt, eindringlich, als wollte er ihm etwas Wichtiges mitteilen. Seine Augen waren blutunterlaufen und gelb, wie fleckiger Dotter.
David blickte ihn hilflos an. »Tut mir leid, aber ich verstehe Sie nicht!«
Amy kam dazu und hörte dem Priester aufgeregt zu. Dann dolmetschte sie für David.
»Er sagt, er … kennt dich. Wirklich eigenartig, er sagt, sie warten schon die ganze Zeit auf dich. Aber jetzt, wo er dein Gesicht aus der Nähe sieht, hat er das Gefühl, dass etwas … anders ist? Er möchte wissen, ob dein Vater … Edward hieß …«
Die letzten Wörter ließen David erschaudern. Er sah zuerst Amy an, dann den alten Mann.
»Ja. Edward! Eduardo Martinez. Warum?«
Der alte Geistliche bekreuzigte sich und wiederholte: »Eduardo Martinez … Eduardo Martinez …«
Amy hörte dem Priester aufmerksam zu und übersetzte weiter: »Anscheinend siehst du deinem Vater zum Verwechseln ähnlich. Er sagt, jeder in Navarrenx weiß, was passiert ist, der Unfall … nein … o mein Gott…« Aus Amys Miene sprach tiefes Mitgefühl. »David … ich weiß nicht, wie soll ich es sagen?«, stammelte sie. »Es war kein Unfall, es war … etwas anderes …«
»Jetzt rück schon damit raus.«
»Er sagt, deine Mutter und dein Vater wurden ermordet.«
Ihre blauen Augen weiteten sich vor Bestürzung. David wollte nur noch die Wahrheit wissen.
»Frag ihn …«, stieß er heiser hervor. »Bitte frag ihn, ob wir uns vielleicht irgendwo zusammensetzen können. Damit er mir in Ruhe alles erzählen kann.«
Der alte Geistliche reagierte abweisend, sogar verängstigt, aber er schien einzuwilligen.
»Er sagt, viel mehr weiß er nicht. Nur, dass es sehr gefährlich ist. Die Bruderschaft hat es auf uns abgesehen. Er muss ihnen Bescheid geben, dass er uns gesehen hat. Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet… er meint… ob wir vielleicht woandershin gehen können, wo uns niemand sieht, jetzt gleich?«
»MercU«, stieß David aufgeregt hervor. »Danke. Danke!«
Zu dritt gingen sie auf den strahlend hellen Fleck am Ende des Kirchenschiffs zu - die offene Tür. Die größere der beiden Türen. Bevor sie in das Licht des Tages hinaustraten, hob Amy die Hand.
»Halt.«
»Was ist?«
Amys Haltung hatte etwas Zurückweichendes, zutiefst Verängstigtes.
Sie nickte in Richtung Stadtplatz.
David wusste, was ihr nächstes Wort wäre.
»Miguel.«
16
David durchfuhr blankes Entsetzen - bis in die Fingerspitzen. Kampf oder Flucht. Er hielt zum Schutz gegen die Sonne die Hand über die Augen und blickte auf den Place d’Eglise hinaus.
Amy hatte recht. Miguel kam mit zwei anderen dunkelhaarigen Männern langsam auf die Kirche zu.
Starr vor Angst wich David in das Dunkel zurück. Auch Amy hatte sich von der offenen Tür zurückgezogen.
»Noch hat er uns nicht gesehen.«
»Aber gleich. Er kommt in die Kirche … wir sitzen in der Falle.«
Sie starrten aus dem Dunkel in die ominöse Helligkeit hinaus.
In ihren atemlosen Dialog schaltete sich eine dritte Stimme ein. Der Priester stupste Amy an und redete hastig auf sie ein. Sie übersetzte.
»Er sagt, es gibt eine Möglichkeit, zu entkommen. Wir sollen die andere Tür nehmen. Die … qu’est-ce que c’est?«
»La porte des Cagots!«, stieß der Geistliche nervös hervor. »La porte des Cagots!«
Er eilte aufgeregt brabbelnd durch die Kirche, um ihnen die andere Tür zu zeigen.
»Irgendwas mit einer Tür der … Cagots?«, zischte Amy David zu. »Er sagt, sie führt ins alte Viertel… jedenfalls kommen wir so aus der Kirche …«
Inzwischen hatten sie die Seitentür erreicht, eine unauffällige Tür, eine kleinere Tür. Amy und David sahen sich an.
»David!«
Mit zusammengekniffenen Augen spähte er erneut auf den Platz hinaus. Es war aus dieser Entfernung kaum zu erkennen, zumal das helle Licht auf dem Vorplatz im Dunkel der Kirche stark blendete,
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