Cagot
traust…«
Eloise hob das Handy und wählte. Aufgeregt flüsternd versuchten Amy und David, zu einer Entscheidung zu kommen, wohin sie fliehen, wo sie sich verstecken könnten. Denn bisher hatte Miguel sie immer wieder aufgespürt; vielleicht war es aussichtslos. Eloise sprach aufgeregt in das Handy.
Die Tür des Bungalows ging auf. David packte Eloise erneut und zog sie unter die Bäume zurück.
»Komm!«
Endlich sagte Eloise etwas. »Ich weiß … ich weiß, wo wir hinkönnen. Wir müssen uns verstecken. Sonst wird er auch uns umbringen!«
»Ja …«
»Geben Sie mir den Autoschlüssel!«
David reichte ihn ihr; sie schlichen am Waldrand entlang zu Davids Auto. Dann zischte Eloise: »Jetzt!«
Sie rannten los und sprangen in den Wagen. David auf den Rücksitz, Amy vorn. Eloise startete das Auto und knallte mit aufheulendem Motor den Rückwärtsgang hinein. Und schon jagten sie los. Sie ließen Gurs hinter sich und fuhren auf einer schmalen Landstraße auf die Berge zu. David spähte aus dem Rückfenster - die Straße hinter ihnen war leer. Als er sich wieder nach vorn drehte, sah er, dass stumme Tränen über Eloises Gesicht strömten.
Er wollte lieber nicht daran denken, was sie durch das Fenster gesehen haben könnte. Ihre ermordete Großmutter oder - schlimmer noch - wie sie gerade umgebracht wurde. Offensichtlich stand sie unter Schock. Trotzdem fuhr sie sehr gut und sicher. Sie weinte, aber sie war hochkonzentriert und voll bei der Sache. Er betrachtete ihr dunkles Profil. Ihrer Teenagergrazie haftete etwas Stolzes an - und etwas zutiefst Trauriges. Wieder fiel ihm das Kreuz an ihrem dunkelhäutigen Cagot-Hals auf. Es blitzte im Scheinwerferlicht der entgegenkommenden Autos.
Amy öffnete das Fenster, und kalte Nachtluft rauschte herein; David ließ sich erschöpft zurücksinken.
Wenigstens waren sie am Leben; Amy und Eloise waren am Leben.
Doch ihre Großmutter hatten sie sterben lassen.
Eloise hatte zu weinen aufgehört. Ihre Miene war jetzt vollkommen ausdruckslos. Sie fuhr auf einsamen Nebenstraßen schnell und mit stumpfer Effizienz auf die Berge zu, die schwarz vor ihnen aufragten; die Wolken hatten sich verzogen, und der Nachthimmel war inzwischen von einem tiefen Blau; den höchsten Gipfel umgab ein Heiligenschein aus funkelnden Sternen.
Sie waren am Leben. Aber Eloises Großmutter war mit Sicherheit tot.
Amy drehte sich um und sah zuerst David an, dann seine Hand. Jetzt schaute auch er an sich hinab: In seiner Handfläche klaffte eine blutige rote Wunde, die er sich zugezogen hatte, als er Eloise festzuhalten versucht hatte.
»Oh, oh«, seufzte Amy mitfühlend.
Er atmete aus.
»Es tut nicht weh.«
»Trotzdem sollten wir die Wunde verbinden.«
Amy griff nach einem T-Shirt, riss es in zwei Hälften und wickelte den Stoff fest um Davids verletzte Hand. »Das muss fürs Erste genügen«, sagte sie. »Bis wir da sind …«
Damit war die Frage angeschnitten. David nickte.
»Eloise. Wohin fahren wir eigentlich?«
Das Mädchen antwortete nicht. David und Amy tauschten besorgte Blicke. »Eloise?«
Das Auto raste weiter, aber das Mädchen sagte nichts. Erst nach einer Weile antwortete sie ruhig und sachlich: »Nach Campan.«
Wieder Schweigen. Dann hielt Amy es nicht mehr aus: »Eloise, hör zu, ich …«
»Non! Non! Nicht darüber sprechen. Bitte sprechen Sie nicht darüber, oder ich kehre auf der Stelle um und fahre zurück … Ich kann Ihnen nicht sagen, was ich gesehen habe! Non, non, non. Bitte fragen Sie mich nie danach.«
David sah Amy an. Sie nickte stumm. Sie mussten das arme Mädchen anders ablenken. Deshalb fragte David: »Wieso nach Campan, Eloise? Was ist dort?«
»Die Cagoterie.« Eloise nahm rasant eine Kurve. »Es sind nur noch ihre Ruinen übrig. Niemand kommt mehr dorthin. Die Ruinen, sie reichen bis in die Schlucht hinunter … dort steht ein Haus!«
»Campan …«, murmelte David zu sich selbst. Das Dorf der Puppen.
»Und du glaubst, dort sind wir in Sicherheit?«, fragte Amy.
»Oui«, antwortete Eloise mit einem bitteren Unterton. »Denn die Cagoteries sind auf der Seite des Flusses, die für die normale Bevölkerung tabu ist. Niemand will dorthin, unter keinen Umständen. Dort sind wir sicher. Totalement.«
David ließ sich nach hinten sacken, und Amy zog den Verband um seine blutende Hand fester zu. Im Mondschein sah das Blut aus wie die Tinte eines Oktopus.
Inzwischen stand für ihn fest, wer hinter all dem steckte. Wer seine Eltern ermordet hatte. Wer die
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