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Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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versteckt. Flecken vom Blut seiner Mutter. Ein rot verschmierter Grashalm. Und ein Auto, schwarz verkohlt und total zerstört, mit zwei Leichen darin.
    Aber da war nichts. Zehn Minuten stand er im kalten Wind, dachte nach und versuchte, sich zu erinnern. Seine Mutter in einem blauen Kleid. Lächelnd und lebendig. Er wollte nach ihr greifen, als hoffte er, ihren Geist sehen zu können, genau hier, an der Stelle, an der sie gestorben war. Er war ein kleiner Junge, der in die Arme seiner lächelnden Mutter lief. Die Traurigkeit der ganzen Geschichte war so deutlich spürbar wie der Wind, der von den Bergen herunterkam.
    Die Sonne war verschwunden, und die Luft war kalt.
    Er kehrte zu den zwei Mädchen zurück. Eloise telefonierte. Ihr Gesichtsausdruck war hochkonzentriert. Sie wandte sich David zu.
    »Es ist meine Großmutter. Der Name ist ihr wieder eingefallen, Monsieur David. Der Name des Verräters. Er war Jose. Jose …«
    »Garovillo?«
    »Ja.«
    David warf Amy einen kurzen Blick zu. Wie bitte? Aber in diesem Moment schrie Eloise ins Handy: »Grandmere? Grandmere!«
    »Was ist?! Eloise! Was ist denn?!«, rief Amy besorgt.
    Das Cagot-Mädchen steckte das Handy ein.
    »Sie sagt, es kommen Männer ins Haus. Sie sagt, sie erkennt ihn … es ist der Mann … der Mann, den sie schon mal hier gesehen hat…«
    Eloise lief bereits über das Lagergelände davon. Zu ihrer Großmutter.
    Auch David und Amy rannten los. Der Schweiß stach in Davids Augen, als er Eloise einzuholen versuchte - aber sie lief erstaunlich schnell; sie war jung, erst siebzehn. Inzwischen hatten sie das Bahngleis überquert und hetzten an der abblätternden Holztür der Brasserie vorbei. Eloise lief, um ihre Großmutter zu retten; David lief, um Eloise zu retten und vielleicht sie alle. Die Logik des Ganzen explodierte in seinem Kopf wie die Zeitrafferaufnahme eines organischen Prozesses: wie eine dunkel erblühende Rose.
    Es musste Miguel sein, es war Miguel, der hinter den Morden steckte. Es war Miguel, der Wolf, der die Cagots abschlachtete, der alle abschlachtete. Ein Fuchs, der die Hühner riss - zum Spaß.
    Durch die Bäume hindurch konnte David bereits den Bungalow sehen.
    Kamen sie zu spät? Im Dämmerlicht wirkte die Straße noch stiller und verlassener. Ein rotes Auto war nirgendwo zu sehen. Im Bungalow schien alles seine Ordnung zu haben. Doch dann - ganz kurz - sah David ein dunkles Gesicht an einem der Fenster. Ein großer Mann. Der Kopf verschwand wieder. Eloise begann zu schreien, aber David packte sie von hinten und zog sie in den Schutz der Bäume zurück. Er legte ihr die Hand auf den Mund.
    »Eloise«, zischte er in ihr Ohr. »Der Mann da drinnen ist ein Psychopath. Er ist unglaublich brutal. Er hat auch uns umzubringen versucht. Er bringt jeden um. Deine Mutter und deinen Vater. Er wird auch dich umbringen …«
    Halb setzte sich Eloise gegen David zur Wehr, halb ergab sie sich schluchzend ihrem Schmerz. Was sollte er tun? David merkte, er durfte sie nicht zurückhalten - es war irgendwie nicht richtig. Wenn sie ihre Großmutter retten wollte, wenn sie bei dem Versuch, sie zu retten, sterben wollte, durfte er sie nicht daran hindern. Mit einem erschöpften Seufzen ließ er sie los und sank gegen einen Baumstamm zurück.
    Amy zischte eine Warnung, aber Eloise reagierte nicht darauf. Sie machte ein paar Schritte, wartete, schaute - im Bungalow brannte Licht -, und dann rannte sie über die Straße und zu ihrer Großmutter. Wie gelähmt stand David da - eine halbe Minute lang. Dann flüsterte er Amy heiser zu: »Was machen wir jetzt? Was machen wir jetzt bloß, verdammte Scheiße?«
    Amy hob die Hand und artikulierte stumm das Wort »Eloise«.
    Und tatsächlich, das Mädchen kam zu ihnen zurückgerannt, ihr Gesicht angstverzerrt, ihre jungen Lippen vor Entsetzen zitternd.
    »El…«
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. Das silberne Kreuz an ihrem Hals schimmerte im Schein einer einsamen Straßenlaterne.
    »Ich … ich … ich habe …«, stammelte sie, gegen ihre Tränen und Schluchzer ankämpfend. »Ich … habe durchs Fenster geschaut.«
    »Und?«
    Ein weiteres Kopfschütteln. Das Mädchen sagte kein Wort. Es stand nur zitternd da, wie eine verängstigte Gazelle, die die Nähe eines Raubtiers spürt. Amy legte Eloise die Hand auf die Schulter; David holte das Handy aus seiner Hosentasche und drückte es ihr in die Hand. Dann flüsterte er mit großem Nachdruck: »Ruf die Polizei an. Ruf sie an. Auch wenn du ihnen nicht

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