Cagot
Schlucht zu kommen. Einverstanden?«
Sie rannten los, aus dem Zimmer und den Gang entlang; die feuchten alten Dielen knarrten, als sie die Treppe hinunter- und durch den Hinterausgang in den Garten hinausstürmten zu dem Tor, das in den Wald führte. Doch plötzlich blieb Amy stehen und hielt David zurück.
»Hörst du das?«, flüsterte sie.
Er lauschte. Tatsächlich, da waren Stimmen. Sie kamen von der anderen Seite der Gartenmauer - aus dem Wald.
»Das geht jetzt nicht mehr«, zischte sie. »Sollen wir es auf der Straße versuchen?«
»Dort ist doch Miguels Auto.«
Sie seufzten vor Frustration - und Angst. Zugleich stieg unbändige Wut in David hoch. »Wir sitzen in der Falle. Wir kommen hier nicht mehr weg. Sie haben uns umzingelt!«
»Nein. Der Keller!« Amy packte ihn am Arm. »Ich bin sicher, dass es dort unten einen Geheimgang gibt. Komm, lass uns noch mal gemeinsam nachsehen.«
Sie machten kehrt und rannten wieder ins Haus zurück. Der Zugang zum Keller war unter der Treppe. David riss die Tür auf.
Von draußen drang das Geräusch eines näher kommenden Autos herein. Offensichtlich hatte sein Fahrer die Abzweigung entdeckt, die zu ihrem Versteck führte. Auch die Stimmen aus dem Wald kamen näher.
Hinter der Kellertür führte eine morsche Treppe in die finstere Unterwelt des Cagot-Hauses hinab.
Sie hatten keine Wahl. Amy stieg als Erste die ausgetretenen Stufen hinab. David schloss die Tür hinter sich und tauchte sie in noch undurchdringlicheres Dunkel. Es war, als ertränken sie in tiefster Nacht.
»Amy…«
»Ja!«
»Alles klar?«
»Ich bin jetzt unten … glaube ich.«
David holte sein Handy heraus und klappte es auf, um die Displaybeleuchtung als Taschenlampe zu benutzen; der schwache Lichtschein erhellte den Keller nur notdürftig. David blickte sich um.
»Psst.«
Amy hielt einen Finger an die Lippen. Sie standen da, stumm und reglos, starr vor Angst. Über ihnen wurden Männerstimmen hörbar. Ihre Verfolger waren bereits im Haus.
Allmählich gewöhnten sich Davids Augen an die Dunkelheit, und jetzt konnte er die wahren Ausmaße des Kellers erkennen. Er war riesig - hoch und weitläufig, wie ein mittelalterliches Burgverlies, das sich in der Dunkelheit verlor. Wahrscheinlich hatten die Cagots hier unten ihre Lebensmittelvorräte gelagert, wenn sie sich verstecken mussten.
Von dem breiten Gewölbegang in der Mitte gingen auf beiden Seiten massive Türen aus Holz und Metall ab, hinter denen sich vermutlich Lagerräume befanden.
»Los, lass uns in diesen Kellern nachsehen …«
Sie spähten in die erste unterirdische Kammer. Es war so kalt und feucht, dass ihr Atem sichtbar wurde. David leuchtete mit dem Handy. In den Türsturz war der Gänsefuß gemeißelt. Das Kainsmal. Rasch schwenkte David das schwache Licht durch den Kellerraum, aber er war leer. Entlang einer Seite verlief eine schmale Steinbank, auch sie leer. Es roch leicht ranzig.
Schritte trampelten die Treppe hinauf. Jetzt durchsuchten sie das Obergeschoss des Hauses. Dort würden sie Jose und Fermina finden. Das hielt sie vielleicht eine Weile auf. David versuchte erst gar nicht, sich vorzustellen, wie Miguel reagieren würde, wenn er seine toten Eltern entdeckte. Er wäre bestimmt außer sich.
Und dann würde er wieder nach unten kommen.
Hastig ging David zum nächsten Kellerraum. Wie der erste war er leer und muffig. Sein Herz schlug wie eine Trommel, und die Schläge wurden immer schneller.
Hektisch tastete er auf der Suche nach einem geheimen Ausgang alle Wände ab. Nichts. Im dritten Keller das Gleiche: Auch dort gab es keine Geheimtür. Und dann hörte er Miguels dunkle Stimme, er musste wieder im Erdgeschoss sein. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er den Kellereingang entdeckte.
Inzwischen hatten David und Amy den vierten und vorletzten Keller erreicht. Die schimmelige hohe Metalltür war abgeschlossen.
»Versuchs einfach!«, flüsterte Amy. »Vielleicht kriegst du sie auf.«
»Halt mal…«
David reichte Amy das Handy und begann, mit aller Kraft an dem klammen Metallgriff zu ziehen. Er riss und ruckelte daran, so fest er konnte, und dann, ganz langsam, bewegte sich die Tür. Quietschend und ächzend gab sie unter seinen verzweifelten Anstrengungen nach. Widerwillig knirschend scharrte das Metall über den Steinboden - und dann flog die Tür explosionsartig auf. Eine zähflüssige, stinkende braune Brühe kam mit solcher Wucht herausgeschwappt, dass sie beide zu Boden gerissen wurden. Wild um sich
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