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Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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wir doch einfach ihre …«
    Er deutete auf die Stoffpuppen. Kurz darauf hatten sie ihre verdreckten Klamotten ausgezogen, Geld und persönliche Dinge daraus entfernt und, ohne lange zu zögern, die alten weiten Jeans und Pullover der Puppen übergestreift. Angewidert kickte David seine Kleider von sich fort und versuchte, nicht daran zu denken, was für … abscheuliche Dinge … mit seiner Haut in Berührung gekommen waren.
    »Fertig?«
    Amy schüttelte es, als sie sich mit ihrem abgelegten Sweater notdürftig den Kopf säuberte.
    »Mein Gott. David. Was … war … das für ein widerwärtiges Zeug? Unten im Keller?«
    »Leichenlipid.«
    »Was?«
    »Wenn man Leichen jahrhundertelang in einem luftdicht abgeschlossenen Raum lagert, verwesen sie … auf eine ganz spezielle Art. Aber…«
    »Sie verflüssigen sich?«
    »Ja, irgendwann.« Er blickte sich in der Kirche um und überlegte, was sie als Nächstes tun sollten. Amy ließ nicht locker. »Das musst du mir genauer erklären!«
    »Zunächst werden die Leichen langsam zu Adipocire - oder Leichenlipid. Zu einer Art seifigem Wachs, das deshalb auch als Leichenwachs bezeichnet wird. Und das wiederum zersetzt sich dann im Lauf der Zeit in … eine …« Er versuchte, nicht daran zu denken. »In eine Art Brühe. Mit Fleischklumpen. Tut mir leid, Amy, aber das ist es, was wir da unten …«
    »Woher weißt du das?«
    »Menschliche Biochemie.«
    Sie zitterte am ganzen Körper.
    »O Gott. Nein, nein, nein.«
    Sie schloss die Augen vor lauter Ekel. Um ihr die Sache nicht noch schwerer zu machen, beschloss David, ihr nichts von seinen dunkelsten Befürchtungen zu erzählen. Möglicherweise waren die Leichen dort unten gelagert worden, weil man befürchtete, sie könnten mit ansteckenden Krankheiten infiziert sein.
    »So.« Amy öffnete die Augen. »Jetzt geht es wieder. Aber Jose…« Sie atmete tief ein, um ihre Fassung wiederzuerlangen. »Der arme Jose«, sagte sie resigniert, und nach einigem Zögern: »Und was jetzt?«
    »Zuerst mal müssen wir aus Campan wegkommen.«
    Er ging zur Kirchentür und öffnete sie. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Luft rein war, huschten sie durch den verwahrlosten Friedhof. An seinem eisernen Tor blickten sie sich noch einmal um. Es war nichts Verdächtiges zu sehen; das einzige Zeichen menschlichen Lebens war eine einsame alte Frau mit einem Regenschirm, die in der Ferne die verlassene Hauptstraße hinunterging.
    »Los …«
    Sie rannten aus dem Friedhof, die triste Hauptstraße Campans entlang, vorbei an den letzten heruntergekommenen Häusern und hinaus in die Wiesen und Felder, die das Dorf umgaben. Und immer weiter.
    Nach zwanzig Minuten blieb Amy erschöpft stehen. Sie musste sich fast übergeben und stützte keuchend die Hände auf die Knie. Auch David hielt ausgepumpt inne und schaute sich um. Ein Stück weiter führte eine stark befahrene Straße vorbei.
    Plötzlich begann Amy wieder loszulaufen.
    »Wir können per Anhalter fahren! Komm …«
    »Aber wohin?«
    »Nach Biarritz. Irgendwohin, wo viele Menschen sind, wo viel Leben ist, wo wir nicht so leicht zu entdecken sind. Diese Straße führt nach Biarritz.«
    Amy stand bereits mit erhobenem Daumen am Straßenrand. David folgte ihr, war jedoch skeptisch. Wer sollte sie in diesem Zustand mitnehmen? Angezogen wie Vogelscheuchen, die verängstigten Gesichter von dieser stinkenden Brühe überzogen.
    Fünf Minuten später hielt ein mit Äpfeln beladener Lkw; der Fahrer beugte sich über die Sitzbank und stieß die Beifahrertür auf. Sie bedankten sich überschwänglich und stiegen ein. Der Mann warf einen erstaunten Blick auf ihre Kleider und schnupperte kurz, doch dann zuckte er nur mit den Achseln und fuhr los.
    Geschafft. Sie waren auf dem Weg nach Biarritz. David ließ sich mit schmerzenden Armen zurücksinken und wartete, dass sich ein Gefühl der Erleichterung einstellte. Plötzlich ertönte aus seiner Hosentasche ein Piepen. Eine SMS. Er tastete seine Vogelscheuchenjeans ab: sein Handy! Er hatte vergessen, dass er es angemacht hatte, um es als Taschenlampe zu benutzen. Normalerweise hatte er es ausgeschaltet, damit Miguel ihn nicht orten konnte.
    Als er das Telefon aus der Tasche zog, wurde ihm wieder einmal die Paradoxie der Situation bewusst, dieses Aufeinanderprallen von Modernität und archaischem Wahnsinn. Da war er, mit dem widerlichen Destillat unzähliger Leichen aus wer weiß welcher Zeit getränkt, und doch piepte sein Handy.
    Die Nummer auf dem Display war

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