Cagot
eine englische. Er drückte auf die Gesprächstaste. Und dann führte er eins der seltsamsten Telefonate seines Lebens: mit einem englischen Journalisten. Einem gewissen Simon Quinn. Das Gespräch dauerte eine Stunde. Als sie es beendeten, waren sie in den Hügeln der Gascogne, in der Nähe von Camboles-Bains.
David wählte aufs Geratewohl eine Nummer, und sobald jemand dranging, öffnete er das Fenster und warf das verdreckte Handy mit einem Seufzer der Erleichterung in das hohe Gras am Straßenrand. Wenn jetzt jemand sein Handy zu orten versuchte, würde es ihn nach Camboles-Bains führen.
Amy war eingeschlafen. Der Lasterfahrer paffte hektisch eine Zigarette nach der anderen und nahm keine Notiz von ihm.
David setzte sich zurück. Der Anruf des Journalisten. Was hatte das alles zu bedeuten? Eine Mordserie in England? Ein verschwundener Wissenschaftler? Genetik?
Deformationen?
25
Als er das verrückte Telefongespräch schließlich beendete, schmerzte Simons Hand vom Schreiben, so viele Notizen hatte er sich gemacht. Er bedankte sich bei David Martinez, drückte die Trenntaste und ließ sich mit leuchtenden Augen auf das Bett zurückfallen.
Einfach der Wahnsinn. Unvorstellbar. Und die Anspannung in der Stimme des jungen Manns. Kaum zu glauben, was dort unten in den Pyrenäen gerade passierte.
Auf jeden Fall war dieses Telefongespräch eine Offenbarung gewesen, ein entscheidender Durchbruch. Das musste gefeiert werden. Er stürmte die Treppe hinunter, um seinen Erfolg mit einer Tasse Kaffee zu begießen. Er würde sofort Sanderson anrufen.
Simon löffelte dunkelbraunen kolumbianischen Kaffee in die Stempelkanne und wählte die Nummer von New Scotland Yard. Erst jetzt kam ihm der Gedanke, dass der DCI vielleicht gar nicht so begeistert wäre, dass er der Sache weiterhin so hartnäckig nachging; ihm war aber auch klar, dass alles, was er eben in Erfahrung gebracht hatte, für Sanderson von größtem Interesse wäre.
Der DCI war jedoch gerade nicht erreichbar. Stattdessen wurde er zu Tomasky durchgestellt. Der junge Detective Sergeant hörte gespannt zu, als Simon ihm überschwänglich von seinen neuesten Erkenntnissen erzählte. Das Beste daran waren die Zehen. Jetzt hatten sie eine Erklärung für die Syndaktylie. Ja!
Während er Tomasky davon erzählte, machte er sich schwere Vorwürfe, dass er den Zusammenhang nicht schon früher hergestellt hatte - in dem Moment, als Emma Winyard die Cagots erwähnte, hätte er sofort eingehendere Nachforschungen über die Cagots anstellen sollen! Dann wäre er schon früher darauf gekommen: zusammengewachsene Zehen, Cagots, Pyrenäen.
Aber es war ja noch nicht zu spät.
Der Kaffee war fertig und die Tasse voll. Als Simon einen ersten Schluck daraus nahm, war Tomasky mit Reden an der Reihe.
»Also, Simon«, begann der DS, »Sie sagen also, diese Leute, die… Cackots…«
»Cagots. Cagots.«
»Okay. Sie sagen also, diese Ga…gots sind alle deformiert? Sie haben alle zusammengewachsene Finger oder Zehen?«
»Nicht alle. Aber einige - und es ist eins der Hauptcharakteristika der Cagots. Seit dem Mittelalter. Deshalb mussten sie auch den, äh, Gänsefuß tragen, der ihre Missbildung versinnbildlichte.«
»Und warum? Ich meine, warum haben sie zusammengewachsene Finger und Zehen?«
»Es ist angeboren. Sie sind ein Bergvolk, bei dem Inzest weit verbreitet ist! In Bevölkerungsgruppen, die in starker Isolation leben und aufgrund dessen kleinere Genpools haben, treten solche Deformationen recht häufig auf. Interessant, nicht?«
»Allerdings.« Eine Weile sagte Tomasky nichts, dann fügte er hinzu: »Und Sie meinen also, unsere Opfer sind … Cagots. Jemand hat es auf Ca…gots abgesehen?«
»So sieht es zumindest aus, Andrew. Wir wissen zwar nicht, warum, aber wir wissen, dass einige der Opfer Cagots sind und dass diejenigen, die Cagots sind und Deformierungen haben, auch noch gefoltert wurden. Und es ist in allen Teilen der Welt zu solchen Morden gekommen. In Frankreich, in England, Kanada.« Er machte eine Pause. »Einige der Opfer sind sehr alt und waren während des Krieges im besetzten Frankreich, möglicherweise in einem Lager in Gurs. Das ist eine weitere Gemeinsamkeit. Außerdem hatten die Opfer sehr viel Geld …« Simon war angesichts dieser seltsamen Faktenlage fast zum Lachen zumute, aber wenigstens waren es Fakten. »Ich muss unbedingt mit Bob Sanderson reden. Er muss das schnellstens erfahren.«
»Klar. Ich werde mich darum kümmern. Ich sage dem
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