Caius, der Lausbub aus dem alten Rom.pdf
ziemlich mysteriös«, sagte Xantippus stirnrunzelnd. »Jetzt bin ich doppelt begierig zu erfahren, was Claudia mir eigentlich schickt.« »Ja, weißt du denn nicht, was du bei ihr vergessen hast?« rief Julius erstaunt.
»Ich weiß, daß ich nichts weiß, hat schon Sokrates gelehrt«, brummte Xantippus. Er begann umständlich, die roten und blauen Wollfäden aufzuknüpfen, die um das Päckchen gewickelt waren. Er strich sie eins nach dem anderen sorgfältig glatt und legte sie fein säuberlich in seine Schublade.
Nachdem Xantippus die Wollfäden in Sicherheit gebracht hatte, studierte er erst einmal aufmerksam den Bogen Papyrus, worin der Gegenstand noch verborgen lag. »Hm«, grunzte er, »dies Papyrus ist das berühmte Cornelia, die beste und teuerste Sorte in der ganzen Welt.« Er schnupperte daran und rümpfte mißbilligend die Nase. »Ich muß sagen, es riecht ein bißchen aufdringlich nach arabischem Parfüm.« Endlich faltete er den Bogen auseinander und starrte wortlos auf eine kleine goldene Taschensonnenuhr.
»Du hattest deine Uhr bei Claudia vergessen, Meister Xanthos«, rief Mucius.
Xantippus antwortete nicht.
»Ist es nicht lieb von Claudia, daß sie trotz ihres Kummers um Caius an dich gedacht hat?« rief Rufus strahlend.
Xantippus lehnte sich in seinen Sessel zurück und zupfte grübelnd an seinem Spitzbart. »Zweifelsohne, Rufus, aber ich muß deine überschwengliche Begeisterung leider dämpfen. Erstens gehört die Sonnenuhr nicht mir; zweitens brauche ich keine Uhr zu meinen mathematischen Werken; und drittens bin ich seit einem Jahr nicht mehr in der Villa Vinicius gewesen.«
5. Kapitel
Hat Xantippus den Verstand verloren?
Die Jungen waren baff. »Aber warum schickt Claudia dir eine Uhr, die gar nicht dir gehört?« fragte Flavius. »Das frag ich mich auch«, sagte Xantippus. Er prüfte den Bogen Papyrus noch einmal von beiden Seiten. »Hat sie denn nichts dazu geschrieben, Meister Xanthos?« fragte Julius.
»Kein Wort. Es sind nur drei unbeholfene Zeichnungen aufs geratewohl drauf gekritzelt. Hier, überzeugt euch selbst.« Er schob den Bogen den Jungen hin. Sie guckten ratlos die drei Bildchen an. Die eine Zeichnung sah wie zwei aneinandergefügte Dreiecke aus; die andere wie ein Ziegenkopf; und die dritte wie ein Kreis, von dem ringsum Strahlen ausgingen.
»Ein kindisches Geschmiere«, sagte Publius. »Sie muß das als kleines Mädchen gezeichnet haben«, sagte Rufus, Claudia in Schutz nehmend.
»Du ziehst deine Schlüsse etwas voreilig, Rufus«, sagte Xantippus. »Der Papyrus, Cornelia genannt, ist erst dieses Jahr auf den Markt gekommen. Und du mußt zugeben, Claudia ist jetzt kein kleines Mädchen mehr. Sie ist inzwischen zu einer jungen Dame herangewachsen. Sie ist zwar erst dreizehn Jahre alt, aber seit dem Tod ihrer Mutter führt sie den gesamten Haushalt und hat bestimmt Besseres zu tun, als mit solchen scheinbar kindlichen Malereien ihre Zeit zu vertrödeln.«
»Du meinst, dann sind es gar nicht ihre Zeichnungen, Meister Xanthos?« fragte Mucius.
»Du hast mal wieder nicht genau hingehört, Mucius. Ich habe scheinbar gesagt und nicht anscheinend. Anscheinend bedeutet, daß etwas wahrscheinlich so ist, wie es aussieht, während scheinbar sagt, daß et-was nicht so ist, wie es aussieht.«
»Wahrscheinlich«, sagte Mucius, ohne eine Miene zu verziehen.
Xantippus stockte einen Augenblick, aber er fuhr dann fort. »Aus diesem Grunde müssen wir uns folgendes überlegen: Warum tischt Claudia dem Zenturio lauter Lügen auf? Für mich gibt es nur eine Erklärung dafür: Die Sonnenuhr ist ein Vorwand, uns die drei Bildchen zukommen zu lassen. Und Claudia hat sie sich wohl überlegt. Sie versucht vielleicht, uns eine wichtige Nachricht betreffs Caius mitzuteilen, eine Nachricht, die nur wir wissen sollen. Ergo wollen wir die drei Bildchen in aller Ruhe sorgfältig studieren. Fangen wir mit den beiden Dreiecken an. Diese Zeichnung scheint gewissermaßen räumlich, das heißt perspektivisch, gedacht zu sein. Was kann sie darstellen?«
»Sie sieht aus wie eins der Zelte, die die Legionäre auf ihren Feldzügen mitnehmen«, meinte Julius. »Nein, es ist eine Narrenkappe«, widersprach Publius. »Claudia hat nur den Pompon vergessen.«
»Mir kommt es fast wie ein Dach vor«, sagte Mucius.
Xantippus sagte gar nichts, er entschloß sich weder für das eine noch für das andere. »Gehen wir weiter. Was bedeutet der Ziegenkopf?« »Das ist kein Problem«, sagte Publius. »Damit meint
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