Caius, der Lausbub aus dem alten Rom.pdf
beiden Schriften sehen einander aber sehr ähnlich."
„Sie müssen doch ähnlich sein, wenn sie einer nachgemacht hat", sagte Publius grinsend.
Vinicius kam zurück, stellte sich vor den Jungen auf und blickte sie forschend an. Es imponierte ihm, daß sie so mannhaft für ihren Freund einstanden. Sie waren immerhin auch die Söhne einflußreicher Patrizier. „Also gut", sagte er, „ich will euch eine Chance geben."
Nun wandte er sich an einen vornehmen Sklaven, der die ganze Zeit respektvoll im Hintergrund gestanden hatte. „Sulpicius, lauf zu Scribonus hinüber und sieh nach, ob er noch zu Hause ist! Ich lasse ihn bitten, sofort zu mir zu kommen. Sollte er schon in der Apollobibliothek sein, nimm eine Eilsänfte und bring ihn her!"
Sulpicius eilte hinaus. Vinicius setzte sich und forderte auch die Jungen auf, sich zu setzen. „Scribonus ist der Leiter der Apollobibliothek", erklärte er. „Er ist der berühmteste Schriftsachverständige von Rom. "Wenn Scribonus bestätigt, daß die Schrift gelöscht ist, dann ist sie gefälscht. Und wenn er sagt, daß sie echt ist, ist sie echt."
„Sie ist gefälscht", sagte Mucius überzeugt.
„Warten wir's ab", bemerkte der Senator schmunzelnd.
„Und was tust du, wenn die Schrift gefälscht ist?" fragte Flavius.
„Das weiß ich noch nicht", erwiderte Vinicius lachend. „Aber Rufus wird es dann bestimmt nicht gewesen sein. Er wird doch nicht seine eigene Schrift fälschen, nicht wahr?"
„Natürlich nicht!" riefen die Jungen und lachten auch. Sie waren ziemlich erleichtert. Vinicius ließ mit sich reden. Er wurde sogar ganz zutraulich, fragte sie nach ihren Eltern, nach der Schule und was sie später einmal werden wollten.
„Ich möchte Redner werden", sagte Julius. „Mein Vater nimmt mich manchmal in den Senat mit, damit ich was lerne."
„Und ich möchte Wagenlenker werden", schrie Antonius. „Das stelle ich mir herrlich vor, so um die Arena zu flitzen, mit vier feurigen Araberhengsten vor dem Wagen. Die Leute werfen Blumen auf mich, und der Kaiser setzt mir einen Lorbeerkranz auf..." Er wurde unterbrochen; hinter der Tür wurden Stimmen laut, und gleich darauf trat Sulpicius ein, gefolgt von einem kleinen, alten Mann mit langem grauem Vollbart. Es war Scribonus. Die Jungen sahen sofort, daß er ein Grieche sein mußte. Alle Gelehrten waren gewöhnlich Griechen, und Römer trugen auch keine Bärte. Er hatte auch keine Toga an, sondern eine schäbige Tunika, die lange nicht in der Wäscherei gewesen zu sein schien. Scribonus sah wie ein Bettler aus, aber der Senator begrüßte ihn sehr respekt voll. „Ich danke dir, daß du gekommen bist", sagte er und setzte ihm auseinander, was er von ihm wünsche.
Scribonus hörte aufmerksam zu, wobei er den Kopf schief hielt wie ein Schwerhöriger. „Lauter!" sagte er zwischendurch ein paarmal ungeduldig, dann ließ er sich die Schreibtafel geben, hielt sie sich dicht vor dieAugen und fragte mürrisch: „Caius ist ein Dummkopf? Wer ist Caius?"
Vinicius' Miene verdüsterte sich wieder. „Caius ist mein Sohn", brüllte er.
„Das hatte ich mir schon gedacht", sagte Scribonus befriedigt, steckte den Finger ins Ohr, schüttelte ihn hin und her und fuhr fort: „Das hier hat ein Knabe geschrieben. Ungefähr zwölf Jahre alt. Unbeholfene Schrift, aber doch schon charakteristisch. Wo soll die Fälschung sein?"
„Dort drüben an der Tempelmauer", sagte Vinicius und zeigte zum Fenster hinaus.
Scribonus ging zum Fenster, kehrte aber sofort wieder um und sagte beleidigt: „Das ist mir viel zu weit. Ich bin kurzsichtig. Wir müssen hinübergehen."
Vinicius und Scribonus gingen hinaus, und die Jungen folgten ihnen.
Als sie durch die Halle kamen, sprang Claudia von der Couch auf und schloß sich ihnen an. Sie hatte die ganze Zeit geduldig auf sie gewartet.
„Was hat mein Vater gesagt?" fragte sie Mucius leise. „Er war sehr vernünftig", erwiderte Mucius etwas von oben herab. Sie verließen das Haus durch den Haupteingang und standen nach wenigen Schritten vor dem Minervatempel. Scribonus studierte noch einmal die Schreibtafel, dann trat er ganz dicht an die Wand, so daß seine Nasenspitze beinahe dagegen stieß, betrachtete lange schweigend dierotgemaltenBuchstabenund sagte: „Das O ist mit Farbe ausgefüllt und der obere Teil des A's auch. Aber das kann mich nicht täuschen."
Die Jungen starrten ihn gebannt an.
Doch Scribonus ließ sich Zeit; er holte erst ein großes, buntes Taschentuch aus einem versteckten
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