Caius, der Lausbub aus dem alten Rom.pdf
fuhr Xantippus fort. „Was habt ihr euch gedacht, als ihr die Nachricht von der Tempelschändung gelesen habt?"
„Nichts", gestand Julius.
„Wir haben uns geärgert", rief Flavius.
„Ihr hättet euch freuen sollen", sagte Xantippus. „Die Zeitungsnachricht beweist uns, daß Rufus nicht allein schuldig ist. Ja, es besteht sogar die Möglichkeit, daß er völlig unschuldig ist."
„Warum?" riefen die Jungen erstaunt.
„Weil die Zeitungsnachricht geschrieben worden ist, als die Tempelschändung noch gar nicht begangen worden war", sagte Xantippus. „Habt ihr das verstanden?"
„Nein", riefen die Jungen.
„Dann werde ich es euch erklären", sagte Xantippus seufzend. „Das Büro des Zensors, das die Zeitung herausgibt, macht erst um die dritte Stunde des Tages auf. Das erste, was die Beamten tun, ist, daß sie die Morgenzeitung aufs Forum herausstellen. Die Nachrichten der Morgenzeitung sind aber schon am Abend vorher geschrieben worden. Sie werden nämlich in Schönschrift geschrieben, und das erfordert viel Zeit und Mühe. "Wenn die Beamten morgens ins Büro kommen, würde es viel zu lange dauern, bis die erste Zeitung erscheint. Darum bleiben immer ein Schönschreiber und ein Beamter, der die Nachrichten entgegennimmt, am Abend vorher bis zur vierten, spätestens fünften Stunde im Büro, um aus verschiedenen Nachrichten die sogenannte Morgenzeitung zusammenzustellen und fertig zuschreiben. Ich bin früher mehrere Jahre selber im Büro des Zensors angestellt gewesen und weiß daher genau Bescheid. Manchmal treffen noch am späten Abend Kuriere mit besonders wichtigen Nachrichten ein. Diese Nachrichten werden dann gewöhnlich mit auf das Plakat geschrieben. Nun, die Nachricht von der Tempelschändung stand in der ersten Morgenausgabe; das heißt, daß sie spätestens um die vierte Stunde der Nacht am Abend vorher im Büro des Zensors abgegeben worden sein muß. Ich hoffe, das geht alles in eure dicken Schädel hinein, ohne daß ich es zehnmal sagen muß."
Die Jungen nickten bejahend. Sie begriffen allmählich, daß die Zeitungsnachricht von großer Bedeutung war, obwohl sie immer noch nicht wußten, wie es sie auf die Spur des Täters bringen konnte.
„Nach der Aussage der beiden Nachtpolizisten", fuhr Xantippus fort, „ist aber die Tat nicht vor der fünften Stunde der Nacht geschehen. Folglich ist die Zeitungsnachricht vor der Tempelschändung geschrieben worden. Und das gibt uns zu denken."
„Kann die Nachricht nicht ausnahmsweise einmal morgens rasch mit auf das Plakat geschrieben worden sein?" fragte Julius.
„Solche Ausnahmen kommen bei besonders wichtigen Ereignissen vor", erklärte Xantippus. „Aber wir haben in unserem Falle einen klaren Beweis dafür, daß mit der Tempelschändung keine Aus nähme gemacht worden ist. Mucius hat erzählt, daß die Nachricht zwischen vielen andern Nachrichten auf der Tafel stand. Stimmt das?"
„Ja", riefen die Jungen.
„Das beweist, daß sie nicht ausnahmsweise noch morgens dazu geschrieben worden sein kann, sonst hätte sie auf einer Extratafel gestanden. Außerdem war die Nachricht ungewöhnlich lang. Die meisten Nachrichten werden nur in knapper Form gebracht. Besonders Extranachrichten. Die Beamten müssen also genügend Zeit gehabt haben, sie auf die Tafel zu schreiben. Die Länge der Nachricht deutet darauf hin, daß sie von einer hohen Persönlichkeit geschickt worden ist, denn die Beamten haben sich nicht getraut, sie zu kürzen."
Xantippus erhob sich und humpelte, auf seinen Stock gestützt, ein paar Schritte auf und ab. „Wir müssen nun folgendes bedenken", fuhr er fort. „A: Woher wußte diese hohe Persönlichkeit, daß ,Caius ist ein Dummkopf' an die Tempelwand geschrieben werden würde? B: Welches Interesse hatte diese hohe Persönlichkeit daran, die Nachricht in die Zeitung zu bringen? C: Warum wird der Verdacht so augenfällig auf die Schüler der Xanthosschule gelenkt? Und schließlich D: Wer ist überhaupt diese hohe Persönlichkeit? Das letzte ist das erste, das wir herausbekommen müssen. Es sollte nicht allzu schwer sein. Wenn wir zum Beispiel wissen, wer der Kurier ist, der die Nachricht im Büro des Zensors abgegeben hat, wissen wir auch, von wem er geschickt worden ist. Ich bin leider außer Gefecht gesetzt; mein Bein schmerzt mich, und ich muß nach Hause, um mich wieder ins Bett zu legen. Es bleibt daher euch überlassen herauszufinden, wer der Kurier ist. Geht ins Büro des Zensors und verlangt den Beamten zu sprechen,
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