Caius, der Lausbub aus dem alten Rom.pdf
drohten, mich als Sklaven zu verkaufen, wenn ich sie nicht bezahle. Das war vor zwei Jahren. Fliehen konnte ich nicht, weil sie mich ständig bewachen ließen. Ich wollte mich umbringen, aber plötzlich sah ich einen Ausweg, wie ich wieder zu Geld kommen konnte. Ich hatte vor vielen Jahren auf meinen Feldzügen im fernen Orient einen berühmten Wahrsager, er hieß Lukos, gefangengenommen. Er war durch seine Hellseherkünste sehr reich geworden, aber er hatte mir gestanden, daß er ein Schwindler war und gar nicht hellsehen konnte. Er war ein Vertrauter des Königs von Persien gewesen und kannte dessen geheimste Pläne. Dadurch wußte er die wichtigsten politischen Ereignisse im voraus und nutzte es geschickt aus. Seine Wahrsagungen trafen fast immer ein, und die Größten des Reiches zahlten ihm große Summen, um sich von ihm die Zukunft deuten zu lassen. Dieser Mann fiel mir in meiner Not ein, und ich beschloß, auch den Wahrsager zu spielen. Ich war ein Vertrauter des Kaisers, und was ist der König von Persien gegen den Imperator des Römischen Reiches! Was Lukos konnte, konnte ich erst recht. Ich etablierte mich hier als Hellseher und verdiente bald so viel Geld, daß ich alle meine Schulden bezahlen konnte."
„Wenn der Kaiser das erfährt, wirst du nichts zu lachen haben", sagte Publius.
Tellus nickte. „Ich trieb ein gefährliches Spiel. Deswegen ersann ich alle möglichen Vorsichtsmaßregeln, um mein Geheimnis zu schützen. Es wäre auch alles gut gegangen, wenn Rufus mich nicht überrascht hätte."
„Rufus?" riefen die Jungen. „Rufus wußte, daß du Lukos bist?" fragte Julius. „Er hat es durch einen unglückseligen Zufall entdeckt", sagte Tellus seufzend. „Er war vorgestern abend bei mir und erzählte mir von der Schreibtafel, die er im Schulzimmer an die Wand gehängt hatte, und von seiner Prügelei mit Caius."
„Warum?" riefen die Jungen erstaunt. „Er bat mich, seinen Lehrer zu verzaubern", sagte Tellus. Die Jungen staunten immer mehr. „In was solltest du ihn denn verzaubern?" rief Antonius. „Ich sollte zaubern, daß sein Lehrer am nächsten' Tage vergißt, zu seiner Mutter zu gehen." „So ein schlauer Fuchs", sagte Publius. „Wieso hat Rufus gewußt, daß du Tellus bist?" fragte Mucius. „Das kam so", fuhr Tellus fort. „Ich wollte ihn rasch loswerden, deswegen verlangte ich Geld von ihm. Ich nahm an, daß er keins hatte. Das stimmte auch, und er ging bestürzt weg. Als er weg war, kamen noch zwei andere Kunden zu mir, aber nach einer Stunde machte ich Schluß, denn ich erwartete Gäste in meinem Palast. Ich ging nach nebenan, nahm meine Perücke ab und schminkte mich ab, kehrte aber noch einmal in das Gewölbe zurück, weil ich meinen Siegelring auf dem Tisch liegen gelassen hatte, und plötzlich stand Rufus vor mir. Ich mußte vergessen haben, hinter dem letzten Besucher die Eingangstür durch den Geheimmedianismus zuzumachen. Rufus hatte einen Geldbeutel in der Hand und eine Laterne in der andern ... "
„Das war meine Laterne", warf Mucius ein.
„,Tellus, du bist Lukos!' rief Rufus. Er kannte mich, denn ich bin oft bei seinem Vater zu Besuch gewesen. Ich packte ihn und schrie ihn an: ,Wenn du mich verrätst, bring' ich deinen Vater um!' Ich wußte, daß er seinen Vater abgöttisch liebt. ,Das kannst du nicht, mein Vater ist weit weg', sagte er. ,Doch kann ich das', sagte ich. ,Dein Vater hat eine schmachvolle Niederlage erlitten. Wenn du mir nicht schwörst, daß du schweigst, sorge ich dafür, daß der Senat deinen Vater zurückruft und hinrichten läßt. Du weißt sehr gut, daß ich die Macht dazu habe. Ich brauche nur dem Kaiser ein Wort zu sagen.' Ich schüttelte ihn derb, um ihn noch mehr einzuschüchtern, und das erschreckte ihn wohl; denn er ließ das Geld fallen, riß sich los und rannte hinaus. Dabei verlor er seinen Mantel. Ich wollte hinter ihm her, aber durch die Kothurne an meinen Füßen konnte ich nicht rasch laufen."
„Warum trägst du die Kothurne?" fragte Flavius.
„Ich wollte als Lukos recht groß aussehen", sagte Tellus. „Es machte mich auch schlanker; dadurch kam niemand auf die Idee, daß ich Tellus bin."
„Deswegen hast du dich auch geschminkt und die Perücke getragen, damit dich niemand erkennt?" sagte Antonius.
Tellus nickte. „Nur, wenn ich keine Zeit mehr hatte, mich zu schminken, habe ich die Tonmaske aufgesetzt", erklärte er.
„Hast du Rufus gefunden?" fragte Mucius.
„Nein", sagte Tellus. „Die Tür muß noch offengestanden
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