Calendar Girl
Hocke und vergrabe das Gesicht in den Händen. Verfluchte, verdammte, verfickte Scheiße!
9
Ich bin schlecht gelaunt. Die Szene mit Fo hat mich noch in den Schlaf verfolgt.
Ein Riese ist hinter mir her, ich kann sein Gesicht nicht erkennen, aber ich höre seinen Atem und seine schweren Schritte, die immer näher kommen. Näher und näher, während ich mich taumelnd und keuchend durch zähen Schlamm vorankämpfe. Dann hat er mich eingeholt, legt seine riesigen Pranken um meinen Hals und fängt an mich zu erdrosseln.
Ich habe mir mein Laken so um den Hals geschlungen, dass ich Mühe habe, mich aus daraus zu befreien. Ich liege keuchend und schnaufend da, während der Angstschweiß auf meinem Körper trocknet. Ein kühler Luftzug, der durch das Fenster über das Bett streicht, lässt mich erschaudern. Ich stehe auf und gehe in die Küche, um mir einen Kakao zu kochen - ein unfehlbares Mittel, Albträume zu verjagen und die Nerven zu beruhigen.
Mit dem dampfenden Becher sitze ich am Küchentisch. Meine Lider sind schwer, aber ich weiß, dass ich nicht schlafen kann, so lange der Schreck noch in mir nachbebt. Was ist nur in ihn gefahren? Wieso? Er hatte doch ganz offensichtlich mit Gudrun geschlafen. Was will er also von mir?
Ich verbrenne mir die Zunge und ziehe Luft durch die Lippen, um sie zu kühlen. Ich liebe dich . Was für ein Bullshit. Ich werde wütend auf ihn, weil er mich und sich in eine solche Lage gebracht hat, und der Zorn hilft, meine vibrierenden Nerven zu entspannen. Ich gähne und trinke den Kakao aus.
Mein Wecker reißt mich aus dem Tiefschlaf. Heute ist mein erster Lauftermin mit Philipp van Bergen. Ich quäle mich in meine Laufklamotten und ziehe leise die Tür hinter mir zu. Keine Lust, Fokko zu begegnen - aber der schläft sicher noch tief und fest. Ich habe in der Küche gesehen, dass die Verschlusskappe einer Whiskyflasche in der Spüle lag. Er hat sich die Kanne gegeben, das heißt, ich sehe ihn erst heute Abend und wahrscheinlich noch üblerer Laune als in den letzten Tagen. Ich seufze und schiebe Fokko Tjarks in eine dunkle, gut abgeschlossene Ecke meines Bewusstseins.
Die Luft ist frisch und kühl, ein leichter Dunst liegt über allem. Als ich im Hafen ankomme, bin ich warm und meine Laune befindet sich fast wieder auf Normal Null. Ich klingele bei van Bergen und warte.
Kurz darauf steht Philipp neben mir - natürlich in schicken Designer-Laufklamotten - und begrüßt mich mit einem hinreißenden Zahnpasta-Reklamelächeln. »Keine Tasche?«, fragt er mit einem suchenden Blick.
»Ich laufe danach so wieder nach Hause«, erwidere ich und mache eine einladende Handbewegung. »Wo möchtest du ...« Aber er hat sich schon in einem geübten, lockeren Trab in Bewegung gesetzt und ich beeile mich, zu ihm aufzuschließen. Wir traben eine Weile nebeneinander her und gewöhnten uns an unseren Rhythmus. Er will offensichtlich zum Rhein hinunter, das ist mir recht. Auf der Promenade lässt es sich um diese Tageszeit schön laufen, nachmittags ist es dort einfach zu voll.
Am alten Hafenbecken laufen wir schon im gleichen Takt. Ich spüre Philipps Blick auf mir. Er nickte mir zu, als ich ihn fragend ansehe, und fragt mich, welche Musik ich gerne höre. Ob ich schon mal in der Oper war, welche Lokale ich frequentiere, was ich gerne lese, ob ich eine Ausbildung zur Fitnesstrainerin habe, was ich sonst so mache, ob ich in einer Beziehung lebe, wie oft ich meine Eltern sehe ...
Ich antworte brav und belustigt auf fast alles. Das sind ja keine Geheimnisse, sogar meine Facebook-Freunde wissen mehr über mich. Irgendwie schmeichelt mir sein Interesse.
Wir steuern die Fußgängerbrücke an und ich drehe den Spieß um und beginne ihn zu löchern. Er ist nicht verheiratet, er hat bis vor ein paar Jahren in Frankfurt gewohnt, er fährt Motorrad, geht in die Oper und liest gerne Thriller. Er ist erstaunlich offen und locker. Ich glaube, ich mag ihn.
Wir laufen die Brücke hoch, über das Wasser und die lange Rampe am Ende wieder hinunter. Hier ist es noch ruhiger, der Weg ist eng und mit Brombeerbüschen gesäumt. Rechts von uns fließt der Rhein, hin und wieder tuckert ein Frachter vorbei.
»Du willst also dein Abi nachholen und dann studieren«, sagt Philipp nach ein paar Metern des schweigenden Laufens. Ich ärgere mich ein bisschen, dass ich ihm davon erzählt habe.
»Ja«, sage ich schroff.
»Erzähl mir davon.«
Ich schüttele den Kopf. »Ich rede nicht gerne darüber. Es war falsch, dir das
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