Calendar Girl
landet weich auf meiner Schulter. »Wir passen auf dich auf, Caro. Aber mach es uns nicht schwer, hörst du?«
Ich nicke. »Gibt es was Neues von Yoshi?«
Sie schweigt. Ich drehe mich zu ihr um, mein Herz schlägt so schnell, dass es in meinen Ohren dröhnt.
»Nein, nein«, beeilt sie sich. »Er lebt, er war kurz bei Bewusstsein. Alles gut, Caro. Er wird es überstehen.«
»Aber?«, frage ich, gleichzeitig beruhigt und aufgewühlt. Sie senkt kurz den Blick, dann sieht sie mich mitleidig an.
»Er hat den Mann beschrieben, der ihn angegriffen hat. Die Beschreibung passt auf deinen Fo.«
Ich bin wie benommen. Irgendwie schaffe ich es, sie davon zu überzeugen, dass mir am hellen Tag mitten in Düsseldorf wohl kaum etwas zustoßen wird. Ich verspreche ihr, vorsichtig zu sein und mich immer schön in der Nähe von anderen Menschen aufzuhalten und gebe ihr den Zweitschlüssel für die Wohnung. Dann braust sie mit einem Taxi davon und ich gehe erstmal frühstücken. Stress macht Hunger, mir jedenfalls.
Im Gänsewein ist es voll, wie immer. Ich bediene mich am Frühstücksbuffet, das hier auch wochentags aufgebaut wird, suche mir ein Plätzchen in der Nähe des Fensters und kaue ziemlich lustlos auf meinem Essen herum. Hunger ja, Appetit null.
Nach der zweiten Tasse Milchkaffee traue ich mich, eine der Zeitungen vom Haken zu nehmen. Ich werfe einen Blick auf die Schlagzeilen, aber dort ist nichts von unserem Spielkartenmörder zu lesen. Ich entspanne mich und lasse mich von harmlosen Neuigkeiten ablenken. Das Kinoprogramm. Es wäre schön, mal wieder ins Kino zu gehen. Mit oder ohne Händchenhalten. Ein scharfer, kurzer Stich - am häufigsten bin ich in den letzten Monaten mit Fo im Kino gewesen. Wir mögen die gleichen Filme, nicht zu laut, nicht zu hektisch, nicht zu albern ...
Ich zwinge mich in die Gegenwart zurück, überfliege die Stadtnachrichten, sehe auf die Uhr. Wenn ich jetzt ganz gemütlich losgehe, bin ich pünktlich bei Philipp.
Ich warte eine Weile vor der Tür, ehe jemand mir öffnet. Durch einen Türspalt betrachtet mich das misstrauische Augenpaar der Haushälterin. Sie nickt mir zu und sagt »Herr van Bergen ist unten.«
Ich danke ihr und nehme den Lift.
Im Trainingsraum brennt nur das Notlicht. Ich werfe einen kurzen Blick ins Bad, es ist leer. Ich grinse in mich hinein. Philipp scheint heute keine Lust auf schweißtreibende sportliche Betätigung zu haben. Oder, besser gesagt, nicht auf diese Form der schweißtreibenden sportlichen Betätigung.
Ich stelle meine Tasche ins Bad, putze mir die Zähne, zögere kurz, dann lege ich meine Kleider ab und ziehe den seidenen Morgenmantel an, der am Haken hinter der Tür hängt. Wozu so tun, als wüsste ich nicht, warum er mich angerufen hat?
Ich gehe zur Tür des »Blaubartzimmers« und klopfe an. »Philipp? Ich bin da.«
Er antwortet nicht, also drücke ich die Klinke hinunter und trete ein.
Es ist wie ein Film. Das Bild erscheint absolut unreal, beinahe komisch. Ich stehe an der Tür und starre, versuche, zu verstehen. Er macht sich einen Witz mit mir, oder? Gleich wird er aufstehen und lachen und mich wegen meines dummen Gesichtes aufziehen, dann wird er mich ... er wird ...
Ich höre mein eigenes Wimmern und spüre die Klinke der Tür, die sich in meinen Rücken bohrt. Ich rufe mich zur Ordnung. Wenn das kein böser Witz ist, dann muss ich jetzt sofort etwas tun.
Ich knie neben ihm auf dem Bett. Er ist gefesselt, genauso, wie er mich vor ein paar Tagen gefesselt hatte. Die gepolsterten Hand- und Fußschellen hängen an Ketten, die wiederum in den Bettpfosten verankert sind. Er liegt vollkommen still. Sein Kopf steckt in einer Art Gasmaske oder Taucherbrille. Über meinem Kopf leuchtet der Bildschirm, zeigt eine Diashow. Meine Fotos in einer Endlosschleife. Ich reiße an den Riemen, die die Maske auf seinem Gesicht fixiert halten. Seine weit geöffneten Augen, der starre, grässlich leblose Blick, ich komme doch nicht zu spät, oh bitte, lasst mich nicht zu spät sein. Er fühlt sich kühl an, er liegt vollkommen nackt da, ich spüre keinen Puls, keinen Herzschlag, ich bekomme diese verdammte Schnalle nicht auf! Mein Blick wandert panisch umher, ich sehe das Messer, das dicht neben seiner gefesselten rechten Hand im Bett steckt. Ich reiße es heraus, schneide den Riemen durch, nehme die Maske ab, fluchend, weinend, rufe seinen Namen, schüttele ihn, ohrfeige ihn, versuche eine Mund-zu-Mund-Beatmung, wie ging das noch mal, drücke auf seinen
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