Calendar Girl
Messer.«
»Ein Messer, na so was«, wiederholt er und schiebt mich weiter, in die Wohnung hinein. »Dann wollen wir uns das m-mal ansehen.«
Die Tür fällt hinter uns zu. Ich will ihm zeigen, wo die Küche ist, aber er steht vor mir und versperrt mir den Weg. »Gehen Sie doch voraus«, sage ich ungeduldig. »Es ist die zweite Tür rechts.«
Er steht immer noch da wie ein Fels. Ich kann sein Gesicht nicht erkennen, weil kaum Licht in den Flur fällt, aber ich kann erkennen, dass er mich anstarrt. »Wohin führt diese Treppe?«, fragt er. Seine Stimme ist so tonlos, als hätte er eine Erkältung.
»In das Atelier im Keller«, erwidere ich. »Da ist niemand. Fokko, also, der Mann, den ich niedergeschlagen habe, liegt in der Küche. Den sollen Sie doch observieren, oder?«
»Ja, mehr oder weniger«, sagt er. »Ein Kelleratelier. Wie praktisch.« Mit diesen Worten setzt er sich in Bewegung und verschwindet die Treppe hinunter.
»Mann, Sie sollen jetzt keine Hausdurchsuchung machen!«, rufe ich und renne hinter ihm her. »Was machen Sie denn für eine Schei…«
Es verschlägt mir den Atem. Er steht am Fuß der Treppe, alle Lampen sind eingeschaltet und leuchten den großen Kellerraum bis in den letzten Winkel aus. Er hat die Baseballkappe abgenommen und streicht sich die Haare glatt. Er lächelt mich an. »Hallo, C-caro«, sagt er, diesmal mit seiner normalen Stimme, die ich im Schlafe erkannt hätte, die mich jede Nacht im Traum verfolgt.
Ich drehe mich um, will die Treppe wieder hinaufrennen, aber er ist schnell, verdammt schnell für seine Größe. Er packt mich und verdreht mir den Arm, dass ich glaube, er will ihn mir ausreißen. Ich schreie und gehe in die Knie, weiche dem Schmerz aus, bis ich auf dem Boden liege, zu seinen Füßen. Er trägt schmutzige dunkelblaue Sneaker. Der Saum eines Hosenbeins ist ausgefranst. Ich sehe alles wie unter einem Mikroskop, jede Einzelheit, während die Zeit sich zu verlangsamen scheint. Der Schock ist so groß, dass ich wie in Zeitlupe denke. Jason ist hier. Fokko liegt bewusstlos oben in der Küche und ich weiß nicht, ob ich ihn ernsthaft verletzt habe. Es war Jason. All das war Jasons Werk.
»Du hast Philipp umgebracht«, sage ich. Meine Stimme klingt hoch und atemlos, wie die eines kleinen Mädchens.
Er hebt mich auf wie eine Puppe. Ich kann mich nicht bewegen. Gleich wird er mir wehtun.
»Meine Caro«, sagt er und hält mich in einem Griff, der mir den Atem nimmt. »Ich habe dafür gesorgt, dass dein Hofstaat dich erwartet. So wie du mich erwarten wirst, deinen König.« Ich sehe in seine Augen, deren Blick so starr ist wie der eines Toten. Das Weiße ist gelblich verfärbt und sein Gesicht sieht eingefallen aus, krank. Er ist dünner als ich ihn in Erinnerung habe. Deshalb hat Yoshi ihn verwechselt. Er sieht Fo ähnlich. Nein, er sieht Fo überhaupt nicht ähnlich! Es ist Jason, der Große Böse Troll! Ich kämpfe mich aus meiner Schreckstarre und beginne mich zu wehren. Schreie, schreie wie am Spieß, reiße eine Hand aus seinem Klammergriff, bekomme sein Ohr zu packen, reiße daran. Ich bin kein Kind mehr, ich kann mich wehren!
Er knurrt wie ein Wolf und bricht mir fast die Finger, als er meine Hand von seinem Ohr löst. Dann lässt er mich fallen, der Sturz drückt alle Luft aus meiner Lunge, und tritt mir gegen den Kopf.
35
Ich werde in kleinen Etappen wieder wach, lecke mir über die Lippen, schmecke Blut. Mein Unterkiefer schmerzt, als hätte mich ein Pferd getreten. Nein, kein Pferd. Der Große Böse Troll. Mein Puls beginnt zu rasen. Ich öffne die Augen, meine Lider sind so schwer wie Blei. Meine Schultern stehen in Flammen.
Ich finde mich nur mit meinem Slip bekleidet an das Andreaskreuz gekettet, das immer noch aufgebaut steht. Dem Schmerz in meinen Armen nach zu urteilen, hänge ich hier schon länger. Ich richte mich ein wenig auf, um die Hände zu entlasten, sie fühlen sich an wie große pelzige Pfoten. Bei der Bewegung fangen sie an, schmerzhaft zu prickeln.
Ich bin allein. Ich baumele hier mutterseelenallein so gut wie nackt an der Kellerwand. Was hat er vor, ist er einfach gegangen und lässt mich hier ans Kreuz gefesselt hängen, bis ich tot bin?
Ich stöhne und versuche, meinen Kopf klar zu bekommen, was schwer ist, wenn er so dröhnt wie das, was ich auf dem Hals trage. Die Kopfschmerzen haben aber ein Gutes: Es bleibt kein Platz für Panik.
Ich sehe mich um. Die gnadenlose Beleuchtung zeigt mir jeden Winkel des Ateliers, ich kann
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