Calendar Girl
vor, das Verhältnis beim Verlassen der Wohnung wieder auf dienstlich zu stellen, aber die beiden scheinen das gut im Griff zu haben.
»Wir haben sie mehrfach gründlich durchsucht«, sagt meine Schwester und grinst, als sie mein Gesicht sieht. »Keine Sorge, Caro, deine schmutzigen Geheimnisse sind bei uns sicher. Nein, was ich sagen wollte: Du kannst unbesorgt wieder zurück. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass dort jemand unbefugt eingedrungen wäre oder was auch immer.«
»Abgesehen davon ist es halbwegs sicher, dass van Bergen der Täter war«, wirft Jens ein. Er fährt sich durch die Haare und gähnt herzzerreißend. Mehr als vier Stunden Schlaf dürfte er nicht bekommen haben.
»Nur halbwegs?«, frage ich. »Und wisst ihr schon, warum er das alles getan hat?«
Elli und Jens sehen sich an, das Schweigen ist unbehaglich.
»Nein«, erwidert er schließlich zögernd. »Nein, das Motiv fehlt uns noch, aber das ist im Grunde auch nicht mehr wichtig. Er war offensichtlich stark auf dich fixiert, wir haben jede Menge Fotos von dir gefunden. Auch von den anderen Mädchen, aber deine Bilder waren deutlich in der Überzahl. Außerdem haben wir zwei Kartendecks gefunden, bei denen die Damen, Buben und Könige fehlen. Dazu die Gegenstände, die den getöteten Frauen gehören. Ich denke nicht, dass da noch viel Spielraum für einen Irrtum bleibt.«
»Es könnte ihm natürlich ein Dritter die Sachen untergeschoben haben, nachdem er ihn ermordet hat«, warf Elli ein.
Ein kleines Streitgespräch zwischen beiden entspinnt sich, dem ich entnehmen kann, dass das Versteck der »Souvenirs«, wie Jens sie nannte, nur von jemandem benutzt werden konnte, der sich in dem Zimmer hervorragend auskannte. Also von Philipp.
»Oder von Annelie«, sage ich und grinse ob der Absurdität meines Einwurfs. »Oder von ihrem Bruder oder Mann oder was immer dieser Jay ist.«
Das bringt die Diskussion der beiden spontan zum Erliegen. Zwei Augenpaare sehen mich mit identischem Ausdruck an: Scharf, kalt, aufmerksam.
»Jay?«, fragt Jens als erster.
»Wer ist das?«, hängt sich Elli an seine Frage dran.
Ich muss zugeben, dass ich verwirrt bin. »Philipps Fahrer«, sage ich. »Er hat auch all die Botengänge für ihn gemacht, so viel ich weiß. Einkäufe, Besorgungen ...«
Die beiden sehen sich alarmiert an. »Du kennst ihn? Wie heißt er mit vollem Namen? Wo wohnt er?«, bombardiert mich Jens, jetzt ganz und gar PHK, mit Fragen.
»Nein«, sage ich ein bisschen genervt. »Ich kenne ihn nicht, ich weiß nur, dass er für Philipp arbeitet. Und ich glaube, dass er irgendwas mit Annelie zu tun hat. Er ist ihr Mann oder ihr Bruder.«
Elli und Jens diskutieren hitzig die mögliche Bedeutung der neuen Figur auf dem Spielfeld, dann geht Jens telefonieren und Elli sieht mich mit neuerlicher Sorge an. »Das hat sicher nichts zu bedeuten«, sagt sie. »Wir werden ihn aufsuchen, dann wird auch er vernommen - aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Chauffeur eine Rolle spielt.« Sie steht auf und räumt ihr Kaffeegeschirr in die Spülmaschine. »Ich bin gleich weg. Du hast ja meine Durchwahl, wenn irgendetwas sein sollte.«
Ich nicke und schenke mir noch einen Kaffee ein. Heute gebe ich nur um Elf einen Zumba-Kurs, danach habe ich frei.
Ich schwimme wie in einer Luftblase durch den Tag. Ich sehe mir selbst dabei zu, wie ich lache und mit meinen Kursteilnehmerinnen rede, ich sehe mich durch die Straßen gehen und bei einem Bäcker frisches Brot kaufen und beim Türken Obst und Tomaten, ich sehe mich mein Fahrrad schieben und ein Eis essen ... alles das hat mit mir kaum etwas zu tun und scheint einen Teil von mir zu treffen, mit dem ich nur sehr lose verbunden bin. Ich fühle mich wie ein Alien. Nein, ich fühle gar nichts. So ähnlich war es, als Jason schließlich festgenommen worden war. Ich bin durch mein Leben gewandert wie die Besucherin einer Kunstausstellung. Interessiert, aber nicht wirklich betroffen.
Dann schließe ich die Haustür auf und werfe noch einen Blick auf die Straße. Der Lieferwagen ist weg und auch kein anderes der parkenden Auto erweckt den Anschein, mehr als nur das zu sein. Sie haben anscheinend die Observierung beendet. Meine Knie werden weich und ich halte mich am Türrahmen fest. Das heißt, Fo kann aus seinem Versteck kommen. Das heißt es doch, oder?
Seit dem Frühstück bin ich sicher, dass Jens und meine Schwester mich nicht als Köder für Fo benutzen. Ich drücke die Tür ins Schloss und werfe meinen
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