Calendar Girl
Rucksack in die Ecke, dann nehme ich den Telefonhörer ab und wähle Fos Nummer.
Er meldet sich wie immer sofort, mit einem knappen »Ja?«
»Komm nach Hause«, sage ich. »Es ist vorbei.«
Sein zitterndes Einatmen verrät mir die Anspannung, unter der er steht. »Bist du sicher?«, fragt er.
»Ich bin sicher. Sie haben Philipp anhand der Dinge überführt, die sie bei ihm gefunden haben.« Ich wische mir schon wieder Tränen weg. »Er war es. Komm nach Hause, Fokko.«
Er hat aufgelegt, ehe ich ausgeredet habe. Ich gehe in die Küche, fülle die Kaffeemaschine und lege das Brot auf ein Schneidbrett. Als ich das Messer aus der Schublade hole, höre ich die Wohnungstür zuklappen. Ich fahre herum, einen Moment lang voller Panik. »Wer ist da?«, rufe ich zitternd und halte das Messer wie eine Waffe vor mich.
Schlüssel klirren auf die Ablage, schwere Schritte durchqueren den Flur, dann steht Fokko in der Küchentür. Ich starre ihn an. »Wo ... wo kommst du her?«
Er ist mit zwei langen Schritten bei mir, nimmt mir das Messer aus der Hand und zieht mich in eine Umarmung, die meine Rippen ächzen lässt. Ich schnaufe und stemme die Hände gegen seinen Brustkorb. »Fo, du erstickst mich. Verdammt, hast du mich erschreckt! Wo kommst du so schnell her?«
Er lässt mich los und reibt sich mit den Handballen über die Augen. Ich habe endlich Zeit, ihn genauer zu mustern und erschrecke. Er hat unglaublich viel Gewicht verloren, sein Sweatshirt hängt an ihm herunter, die Hose schlägt Falten, er sieht ganz fremd aus.
»Fo«, sage ich, »Fokko, bist du krank?«
Er hebt den Kopf und lächelt mich an. »Alles gut, Caro. Alles gut.« Er deutet nach oben. »Ich war in der Dachwohnung, die ganze Zeit.«
Die leerstehende Wohnung im vierten Stock? Ich runzele die Stirn. »Woher hast du den Schlüssel?«
Fokko hat das Brotmesser genommen und säbelt Scheiben von dem frischen Laib herunter. »Ich habe einen Hunger!«, sagt er. »Das ist meine Wohnung, Caro. Das Haus gehört immerhin mir.«
Die Neuigkeit muss ich erstmal verdauen. Fokko gehört das ganze Haus?
»Du bist reich«, sage ich beeindruckt.
Er hört auf, das Brot zu zerlegen, und grinst mich an. Jetzt sieht er wieder ein bisschen aus wie er selbst. »Reich? Süße, das ist die Übertreibung des Jahres.« Er dreht sich zum Kühlschrank und fängt an, ihn leerzuräumen. Nicht, dass besonders viel drin wäre, ich bin keine große Köchin und war außerdem ein paar Tage nicht hier. Ich höre ihn leise schimpfen und kann nicht anders, ich muss lachen, so erleichtert bin ich. »Ach, Fo«, sage ich.
Er hält inne, ein lappiges grüngelbes Etwas in der Hand, das bestimmt einmal essbar gewesen ist, und sieht mich mit gefurchter Stirn an. »Was denn?«, fragt er ein bisschen pikiert.
Meine derzeit ein wenig unausgeglichene Stimmungslage wechselt übergangslos von grundloser Heiterkeit zu einem Heulanfall mit allem Drum und Dran. Ich nehme am Rande wahr, dass Fo das verwelkte Grünzeug fallen lässt und sich vor mich hockt. »Mädchen«, sagt er leise und streichelt mir übers Haar. »Mädchen, Mädchen.«
Mehr sagt er nicht, aber es reicht, dass bei mir alle Dämme brechen. Ein paar Minuten bin ich außerhalb von Zeit und Raum. Ich weiß nur noch, dass er mich festhält und mir leise, sanfte Dinge ins Ohr flüstert, während seine großen Hände meine Schultern streicheln.
Mein Handy klingelt. Ich habe es im Rucksack gelassen, der steht im Flur. »Willst du ...?«, fragt Fo und lässt mich los. Ich putze mir die Nase, fühle mich entsetzlich und schüttele den Kopf. »Erstmal wieder abregen«, sage ich. »Danke fürs Händchenhalten. Ich bin im Bad.«
Kaltes Wasser ist etwas Herrliches, wenn man rotgeheulte Augen und eine Schniefnase hat. Ich fühle mich wieder halbwegs präsentabel und gehe nachsehen, wer mich angerufen hat. In der Küche klappert Fo herum, Wasser kocht, es riecht nach dünstenden Zwiebeln und Tomaten. Alles ist wieder im Lot. Ein Glücksgefühl rollt über mich hinweg wie eine Atlantikwoge und lässt mich verwirrt und durcheinandergerüttelt zurück.
Ich checke die Anrufe und höre die Mailbox ab. »Caro«, sagt die Stimme meiner Schwester, sie klingt gestresst, »es gibt Neuigkeiten, die nicht sehr erfreulich sind. Die Gerichtsmedizin hat festgestellt, dass Philipp nicht aus eigenem Verschulden erstickt ist. Da hat jemand nachgeholfen. Wir wissen nicht, ob er einen Helfer hatte oder ob die Morde doch gar nicht auf sein Konto gehen. Sei bitte
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