Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
Calhoun, dem ich in meiner Heimat begegnete, war ein ganz anderer Mensch als der zynische Fremde, den ich im Aquarium traf. Damals war er ein romantischer junger Mann mit einem großen Appetit auf das Leben. Das Volk von Khayrat mochte ihn. Wir schätzten seinen Pferdeverstand und seine fröhliche Art. Er war ständig in Bewegung, lachte stets und erzählte immer von diesem und jenem.“
Layla schien in weite Fernen zu schauen und sich dabei an Dinge zu erinnern, die sich Abigail kaum auszumalen vermochte. Sie stellte sich Jamie als einen lachenden jungen Mann vor, der völlig ohne Spott war. Ach, wie sehr wünschte sie sich, sie hätte ihn damals gekannt...
„Ich liebte ihn über die Maßen.“ Laylas Stimme klang jetzt wie bei einer Beichte, und Abigail merkte, dass die Prinzessin noch nie über das gesprochen hatte, was damals geschehen war. „Doch ich musste ihn fortschicken, denn natürlich war es verboten, sich mit einem ,Ferenghi‘ einzulassen, doch er war auch zu ... zu viel für mich. Es ist schwierig, es Ihnen zu erklären. Jamie war zu leidenschaftlich, zu stark, und sein Hunger nach Leben war zu groß. Er erwartete zu viel. Dem fühlte ich mich nicht gewachsen.“
„Was Sie jedoch nicht daran hinderte, eine Liebesaffäre mit ihm einzugehen.“
„Hat es Sie denn gehindert?“ konterte die Prinzessin.
„Es würde mich daran gehindert haben, wenn ich gewusst hätte, dass ihm für die Liebe zu mir der Tod drohte“, gab Abigail zurück.
„Das Herz ist etwas sehr Törichtes“, flüsterte Layla. „An Gefahr dachte ich überhaupt nicht.“
„Erzählen Sie mir, was geschah“, bat Abigail mit sanfterer Stimme. „Bitte - ich muss es wissen!“
„Wir vereinbarten, uns im Hafen von Almulla zu treffen. Jamie und sein Bruder hatten die Ankäufe ihrer Pferde abgeschlossen und wollten sich nun nach Gibraltar und später nach Amerika einschiffen. Allerdings ahnten wir nicht, dass Fürst Abdul Ali Paschas Spitzel diesen Plan kannten.“
„Der Fürst, der jetzt Ihr Gatte ist.“
Layla nickte. „Man nahm Jamie in Almulla fest und verhörte uns getrennt. Ich werde nie erfahren, was er aussagte und was man ihm angetan hat.“
Abigail dachte an die wulstigen Narben, die sie an seinem Rücken entdeckt hatte, und verzog das Gesicht. Sie ertrug es nicht, sich vorzustellen, was er ausgehalten haben musste. Und wie hatte er es zulassen können, dass jemand anders seinen Platz einnahm? Wahrscheinlich wirkt er deshalb jetzt so gequält und gehetzt, dachte sie.
„Ich sah ihn nicht wieder bis zu dem Tag ..." Layla stockte und nahm noch einen Schluck Tee. „Bis zu dem Tag seiner Hinrichtung. Ich erfuhr nie, dass der Verurteilte nicht Jamie gewesen war. Von weitem sah ich nur einen Verwundeten in blutigen Lumpen, dem man einen Sack über den Kopf gestülpt hatte. Die öffentliche Bekanntmachung bestätigte, dass das Opfer James Calhoun hieß.“ Layla stellte ihre Teetasse auf dem Tisch ab. „Ich bin keine schreckliche Person. Ich sah einen Menschen meinetwegen sterben. Meinen Sie, das hätte mich unberührt gelassen?“
„Sie heirateten den Mörder.“
„In meinem Land steht einer Frau die Wahl nicht frei.“
Abigail ließ es darauf beruhen. Die Prinzessin hatte ihr genug berichtet, und sie selbst verstand endlich. Sie hatte die rätselhaften Schatten geschaut, die Jamies Herz verdunkelten. Um Laylas schönes Gesicht zu retten, hatte er sie für unschuldig erklärt; er war also dazu bereit gewesen, sein Leben gegen Laylas Schönheit einzutauschen. Doch auf irgendeine Weise hatte es nicht Jamie, sondern Noah das Leben gekostet.
Das war also der Grund, weshalb Jamie niemanden mehr lieben wollte oder konnte und weshalb er den Glauben an die Liebe ganz aufgegeben hatte. Die Liebe hatte ihn zu nachhaltig im Stich gelassen.
30 KAPITEL
A bigail wollte direkt zu Jamie gehen, doch als sie in die Dumbarton Street zurückkehrte, befand er sich nicht mehr im Haus und hatte auch nicht hinterlassen, wann er zurückkommen wollte. Auch gut, dachte sie; sie musste ohnehin noch eine Sache erledigen, die das Ehrgefühl erforderte.
Die Fahrt nach Annapolis und das Treffen mit Boyd nahm den ganzen folgenden Tag in Anspruch, und bei ihrer Heimkehr fühlte sie sich derart ausgelaugt und unwohl, als käme sie gerade von einer Beerdigung. Boyd hatte ihre Entscheidung mit militärischer Würde und einer Andeutung von Erleichterung akzeptiert. Offenbar litt er auch in Bezug auf die Eheschließung unter dem Druck der
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