Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
demütigen?“
Doyle bedachte sie mit einem ärgerlichen Blick, doch davon ließ sie sich nicht beeindrucken. „Was wollen Sie wirklich wissen?“ fragte er genauso geradeheraus wie sie.
Sehr gut - sie wollte die ungeschminkte Wahrheit. „Alles!“ verlangte sie.
Er lachte leise. „Offenbar liegt Ihnen an Skandalen, Madam.“ „Mir liegt an der Wahrheit - selbst wenn sie unangenehm oder wenig schmeichelhaft sein sollte.“
Er betrachtete sie ein wenig verlegen. „Kann ich je die Bemerkung wieder gutmachen, die ich am Telefon äußerte?“
„Erzählen Sie mir, was ich wissen will, und ich werde mir überlegen, ob ich Ihre Entschuldigung annehme.“
Doyle zog einen dicken Aktenordner hervor und legte ihn auf den Tisch, der zwischen ihnen stand. „Dies sind meine Quellen aus den Originalberichten. Vor etwa zwei Jahren erhielt ich ein Kabel von einem Londoner Korrespondenten über einen Skandal in dem kleinen Fürstentum Khayrat. Man hatte dort die Prinzessin bei einer Affäre mit einem westlichen Ausländer erwischt. Die Frau wurde zu der traditionellen Strafe für ihr Verhalten verurteilt.“
„Welche Strafe?“
„Ihr sollten die Nasenlöcher aufgeschlitzt werden.“
Abigail schauderte es, als sie sich die schöne Prinzessin verunstaltet und gedemütigt vorstellte. „Gottlob entkam sie ja der Verstümmelung.“
„Das kann man so nicht sagen. Ich nehme vielmehr an, dass sie als Gegenleistung für die ihr erwiesene Gnade den Namen ihres Liebhabers preisgab - James Calhoun.“
Das versetzte Abigail einen Stich. „Und was tat er?“
„Selbst nach seiner Gefangennahme erklärte er die Unschuld der Prinzessin. Er behauptete, trotz seiner Versuche, ihre Ehre aufs Spiel zu setzen, habe sie sich ihre Tugend bewahrt. Er erflehte, selbst bestraft zu werden. Die Eltern der Prinzessin kamen seinem Wunsch nur zu gern nach; ich bezweifle, dass sie sehr darauf erpicht waren, ihre Tochter verunstaltet und entehrt zu sehen. Man warf also Calhoun in den Kerker und verurteilte ihn zum Tode durch Köpfen. Es gab zwar einen Fluchtversuch, der jedoch fehlschlug.
Zeugen sagten aus, der Gefangene sei unmenschlich gefoltert worden. Man band ihm am Ende eine Kapuze übers Gesicht und schleifte ihn auf einen öffentlichen Paradeplatz mit einer tausendköpfigen Menschenmenge und Tribünen, die man für die Hoheiten und Würdenträger errichtet hatte. Die Prinzessin wurde gezwungen, Zeugin des Vorgangs zu sein.“
Abigail fühlte ihre Fingerspitzen nicht mehr; sie hatte die Hände so fest verkrampft, dass sie taub geworden waren. Sie merkte, dass ihr bei Doyles Bericht alle Farbe aus dem Gesicht wich. Sie musste schrecklich aussehen, denn der Journalist hielt inne.
„Soll ich weiterreden? Den Rest der Geschichte konnten wir nicht einmal drucken; das verbot uns der Anstand.“
Abigail war versucht, ihn aufhören zu lassen, doch dies war ja ein Teil von Jamies Vergangenheit. Falls es eine Hoffnung gab, sein Herz zu heilen, musste sie alle Umstände kennen, die ihn so hart und verbittert gemacht hatten.
„Ersparen Sie mir bitte kein einziges Detail, Mr. Doyle.“
Der Zeitungsmann ballte die Fäuste und redete weiter. „Zuerst ... schlug man dem Angeklagten die Hände ab, eine nach der anderen. Danach köpfte man ihn. Es heißt, die Schreie der Prinzessin hätten das Gebrüll der Menge übertönt, bis sie schließlich in Ohnmacht fiel. Die Leiche des Geköpften wurde den wilden Hunden überlassen.“ Doyle atmete erschaudernd aus. „Auf diese Weise entkam Calhoun. Wer jedoch der an seiner statt Getötete war, wissen wir nicht.“
Abigail blieb schweigend sitzen, kämpfte gegen ihre Übelkeit an und lauschte dem kalten Wind, der an Bürofenstern rüttelte, während sie sich die gewalttätige Szene vorstellte.
Ihr Blut schien sich in Eis verwandelt zu haben, denn im Gegensatz zu Doyle wusste sie es ganz genau.
Da Abigail auch noch den Rest der Wahrheit herausfinden wollte, begab sie sich auf direktem Wege zu den großartigen Gebäuden am Willardplatz, in denen ausländische Delegationen und Besucher oft logierten. Doyle hatte ihr die Adresse der Residenz gegeben, wo die Abgesandten Khayrats wohnten.
Von außen sah das Gebäude aus wie alle anderen in dieser Gegend auch. Abigail nannte dem hier stationierten Wachposten ihren Namen und ihr Begehr. Einen Moment später erschien ein Riese von gewaltigem Leibesumfang und forderte sie auf, ihm zu folgen. Obgleich seine Größe recht einschüchternd wirkte, war sein
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