Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
Gesicht so rund und so milde wie der Vollmond im Sommer.
Mit den schmiedeeisernen Gittern und dem steinernen Torbogen ähnelte das Innere der Residenz einer Miniatur-Alhambra. Ein in kompliziertem geometrischem Muster gefliester Innenhof umgab einen plätschernden Brunnen. Dienstpersonal und Beamte bewegten sich leise durch die überdachten Bogengänge am Rande des Hofes. Abigail beschlich das unheimliche Gefühl, dass sie eine andere Welt betreten hatte, die fremdländisch, exotisch und ... gefährlich war.
Ihr Begleiter führte sie durch den Bogengang und eine Treppe hinauf. Oben sprach er kurz mit einer Dienerin, die mit einem wallenden Gewand bekleidet war. Diese winkte daraufhin die Besucherin weiter, und Abigail fand sich in einer parfümierten Höhle aus roter Seide wieder. Als sie der Frau ihren Umhang übergab, stand die fremdländische Prinzessin schon zur Begrüßung bereit.
Ohne den Halbschleier vor dem Gesicht war sie noch viel schöner, als Abigail sie in Erinnerung hatte. Mit dem dunklen Teint und den vollen Lippen glich sie den aufreizenden Abbildungen in Ja- mies Büchern, und ihre wachsamen Augen sprachen von Geheimnissen, von denen die „alte“ Abigail lieber nichts hätte wissen wollen.
„Wir machten bereits unsere gegenseitige Bekanntschaft bei der Eröffnungsgala des Aquariums“, sagte sie, nachdem sie die Dame begrüßt hatte.
„Gewiss. Ich erinnere mich, Miss Cabot.“ Die Prinzessin sprach mit überdeutlichem Internats-Akzent und deutete auf Ottomanen und Polsterkissen, die um einen niedrigen Tisch herum gruppiert waren. „Nehmen Sie doch bitte Platz.“
Abigail setzte sich auf die Kante einer Ottomane. Die Dienerin goss leicht nach Jasmin duftenden Tee in eine winzige Tasse.
„Ich werde sofort zur Sache kommen. Ich bin hier, um Sie nach einer für mich sehr wichtigen Angelegenheit zu befragen - Jamie Calhoun.“
Gesicht und Haltung der Prinzessin, die Abigail gegenüber Platz genommen hatte, wirkten völlig beherrscht. „Sie meinen seine politischen Probleme?“
Das kam für Abigail überraschend. „Ich verstehe nicht recht. Seine politischen Probleme?“
„Mit Mr. Horace Riordan und dessen Eisenbahngesellschaft.“ Abigail betrachtete die Dame verwundert. „Ich ahnte nicht, dass Sie an der Politik meines Landes so interessiert sind.“
„Alles an Ihrem Land interessiert mich, Miss Cabot. Hier gilt das Vermögen eines Mannes mehr als das Leben oder der Tod.“ Sie bedachte Abigail mit einem rätselhaften Lächeln. „Eine Frau hinter einem Schleier ist für mächtige Männer unsichtbar. Die Amerikaner glauben, ich sei nicht nur unsichtbar, sondern auch taub, stumm und zu dumm, um Englisch zu verstehen. Sie täuschen sich gewaltig. Ich wurde bei St. Catharine’s in Lincolnshire ausgebildet.“
Obgleich Prinzessin Layla wunderschön sprach, lag in ihrer Stimme doch ein Unterton, der Abigail nicht behagte. „Sie sind also klug genug, um mir das zu erzählen, doch Sie waren nicht klug genug, um Ihre Landsleute davon abzuhalten, Jamie festzunehmen und ihn zum Tode zu verurteilen.“
Endlich bröckelte die beherrschte Haltung. Die Prinzessin wurde totenblass, und ihr Blick huschte hin und her wie der eines in die Enge getriebenen Tieres. Sie äußerte etwas in ihrer Sprache, und die Dienerin verließ den Raum.
„Jemand hat Ihnen Lügen über mich erzählt“, erklärte Layla. „Das können Sie ja richtig stellen, indem Sie mir die Wahrheit sagen. Erzählen Sie mir, was sich wirklich zugetragen hat.“
„Weshalb befragen Sie mich wegen einer Sache, die bereits so lange her ist? Weshalb fragen Sie nicht Mr. Calhoun?“
„Weil er es mir nicht sagen würde.“
„Und weshalb sollte ich das tun?“
Dass diese Frage kommen würde, hatte Abigail geahnt. Sie wusste nur nicht recht, was sie darauf antworten sollte. „Seit der Geschehnisse in Ihrem Land ist er ein anderer Mensch geworden. Es gibt Wunden, die nie verheilt sind.“
„Und es hilft ihm, wenn ich es Ihnen erzähle?“
„Ich weiß es nicht, doch schlimmer wird es die Dinge bestimmt nicht machen. Es gibt einen Teil von ihm, den ich mir nicht erklären kann, aber genau das will ich. Ich muss es einfach!“
Layla nippte an ihrem Tee. „Verstehe.“
„Wirklich?“ Es war so still in dem Raum, dass Abigail ihr eigenes Herz schlagen hören konnte.
„Ja, so wie zwei Frauen es verstehen, die denselben Mann lieben.“ Mit leiser und betörender Stimme sprach die Prinzessin langsam weiter. „Der Jamie
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