Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
starrte an die Zimmerdecke. Vor langer Zeit, als sie zwölf Jahre alt gewesen war, hatte sie hier den Nachthimmel mit Blattsilber gestaltet; ernsthaft, wenn auch nicht ganz akkurat, hatte sie den gesamten Tierkreis dargestellt und dabei gehofft, dass ihr Vater es nicht merkte und die Decke neu anstreichen ließ.
Er hatte nie ein Wort darüber verloren, und sie wusste auch nicht, ob es ihm überhaupt aufgefallen war, doch irgendetwas hatte ihr damals gesagt, dass ihr kleines Kunstwerk durchaus von ihm bemerkt worden war.
Abigail schlief erstaunlich gut. Am nächsten Morgen kleidete sie sich sorgfältig an und verließ das Haus sehr früh, noch ehe ihr Vater und ihre Schwester wach waren. Die beiden würden sie auch kaum vermissen. Nach ihren nächtlichen Ausflügen blieb Abigail oft bei geschlossener Zimmertür lange im Bett; man würde also annehmen, sie schlafe noch. Es gab allerdings viel zu tun, und so plante sie ihren Tag in allen Einzelheiten wie ein Feldherr.
Als sie an der Ecke Tenth und D Street aus der Droschke stieg, sah sie in einem breiten Schaufenster das Spiegelbild einer feschen jungen Dame, die sich mit gewissem Stolz bewegte. Zu ihrem Schrecken merkte Abigail, dass sie selbst diese junge Frau war.
Irgendwann im Laufe der Unterweisungen und ohne dass sie es wirklich bemerkte, hatte sie gelernt, sich anders zu bewegen. Wenn sie jetzt eine Straße entlangging oder einen Raum betrat, schlurfte sie nicht mehr und ließ auch nicht mehr die Schultern hängen, als fürchte sie ständig, zu stolpern und hinzufallen.
Vielmehr hielt sie den Kopf hoch und vergaß, sich um ihren missgestalteten Fuß zu kümmern. Den Leuten schaute sie in die Augen und forderte damit deren Aufmerksamkeit heraus. Und trotz des Desasters der vergangenen Nacht mit Jamie behielt sie ihre stolze Haltung jetzt bei. Seine Zurückweisung erhöhte noch ihre Entschlossenheit herauszufinden, wodurch er so kalt und zynisch geworden war.
Da der kalte Winter schon in der Luft lag, steckte sie die Hände in ihren Strickmuff. Als sie das Verlagsgebäude der „Washington Post“ betrat, kam sofort ein junger Mann heran, um ihr behilflich zu sein.
„Ich möchte gern mit Mr. Timothy Doyle sprechen, bitte.“
„Gewiss. Hier entlang, Madam.“ Der junge Mann führte sie durch ein Labyrinth aus langen Tischen, an denen sich Angestellte über Schreibmaschinen beugten. An einem Ende stand ein Mann, der die Druckmaschine bediente und die Zeilen mit lautem, metallischem Lärm setzte. Die Männer an den Telegrafen erhielten und verschickten Nachrichten in verwirrendem Tempo. Ganz hinten in diesem großen Saal befanden sich an einer langen Wand aufgereiht mehrere Schreibpulte, und an einem davon, einem wackeligen Eichenschreibtisch, auf dem Zeitungsausschnitte, Fotografien, Einladungen, Magazine und Speisekarten lagen, saß Doyle.
Er erhob sich sofort und reichte Abigail die Hand zur Begrüßung. „Miss Cabot, was für eine Ehre!“ rief er aus. „Welchem Umstand verdanke ich dieses Vergnügen?“
„Dies ist kein freundschaftlicher Besuch.“ Abigail erinnerte sich noch sehr gut an seine Reaktion, als man ihm mitteilte, dass sie Leutnant Butler ehelichen würde. Um Doyle ebenfalls daran zu erinnern, gestaltete sie ihren Blick eine Spur frostiger, schaute sich in dem großen Saal um und hob dann die Stimme über den Lärm der Druckmaschine. „Allerdings würde ich es vorziehen, mein Anliegen nicht in einer solchen Tretmühle abzuwickeln.“
„Gewiss, gewiss - sollen wir uns in mein Privatbüro begeben?“ Als Abigail nickte, hielt er ihr die Tür auf. „Wenn Sie bitte hier entlang ...“
Von dem Bürofenster aus sah man die angenehme Gegend der Stadthäuser und Botschaften. Eine Reihe entlaubter Bäume säumte einen kopfsteingepflasterten Pfad, der zu einem kleinen Stadtanger führte.
Nachdem sie Platz genommen hatten, kam Abigail sofort zur Sache. „In Ihrer kürzlich erschienenen Kolumne, die mich, wie ich gestehen muss, unangenehm beeindruckte, erwähnten Sie Prinzessin Layla und deren Abenteuer mit James Calhoun.“
Doyle lehnte sich zurück; er wirkte bestürzt. „Calhouns Namen erwähnte ich nie.“
„Ihre Andeutungen reichten vollauf. Ich will, dass Sie mir sagen, was an dieser Geschichte der Wahrheit entspricht und was Sie daran erfunden haben, um Ihre Auflage zu steigern.“
„Miss Cabot, ich bin Journalist. Ich schreibe nur über Tatsachen.“
„Auch wenn diese möglicherweise durchreisende Hoheiten
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