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Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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war.
    So erforschte er sich selbst und betastete die Wunde im Zentrum seiner persönlichen Welt, als steckte er die Zungenspitze in eine Zahnlücke.
    »Deine Tochter«, sagte er zwischen den Tränen, »ist wahrscheinlich tot. Aber wenn sie nicht tot ist, dann musst du sie finden.«
    Das fühlte sich besser an – oder wenn nicht besser, dann wenigstens richtig. Mit verschränkten Händen beugte er sich vor und stützte das Kinn auf die Finger. Behutsam rief er sich Katoas Körper vor Augen, wie er auf dem Tisch gelegen hatte. Obwohl sein Bewusstsein rebellierte und an etwas anderes denken wollte, egal was, hielt er das Bild fest und setzte Mei an die Stelle des Jungen. Still, unbeseelt, tot. Der Kummer stieg von einem Punkt dicht über dem Magen auf, und er beobachtete ihn, als hätte er nichts damit zu tun.
    Als Student hatte er Daten über Pinus contorata gesammelt. Unter allen Kiefernarten, die es auf der Erde gab, war die Küstenkiefer unter niedriger Schwerkraft die robusteste. Seine Aufgabe hatte darin bestanden, die abgeworfenen Zapfen zu sammeln und zu verbrennen, um an die Samen zu gelangen. In der Wildnis konnten die Küstenkiefern sich nur mithilfe des Feuers verbreiten. Das Harz in den Zapfen verstärkte die Hitze der Flammen, auch wenn dies bedeutete, dass die Elternbäume sterben mussten. Damit es besser wurde, musste es erst schlimmer werden. Um zu überleben, musste die Pflanze auf das Überleben verzichten.
    Das verstand er.
    »Mei ist tot«, sagte er. »Du hast sie verloren.«
    Er wartete nicht darauf, dass die Vorstellung nicht mehr wehtat. Der Schmerz würde nie abklingen. Aber er durfte ihn nicht so stark werden lassen, dass ihn das Gefühl übermannte. Bei alledem hatte er den Eindruck, er zöge sich einen dauerhaften seelischen Schaden zu, aber dies war die einzige Strategie, die er kannte. Nach allem, was er sagen konnte, schien sie auch zu funktionieren.
    Sein Handterminal zirpte. Der zweistündige Block war vorbei. Prax wischte mit dem Handrücken die Tränen ab, holte tief Luft, atmete energisch aus und stand auf. Zweimal am Tag je zwei Stunden im Feuer, so hatte er es beschlossen, sollten ausreichen, damit er in dieser neuen Umgebung, in der es weniger Freiheit und mehr Kalorien gab, hart und stark blieb. Es sollte ausreichen, damit er gut funktionierte. Er wusch sich im gemeinsamen Bad, das die Bewohner des Raumschiffs als Lokus bezeichneten, das Gesicht und ging in die Messe.
    Der Pilot – er hieß Alex – stand an der Kaffeemaschine und sprach in ein Com-Gerät an der Wand. Seine Haut war dunkler als die von Prax, das schüttere Haar war schwarz, und die ersten grauen Strähnen zeichneten sich darin ab. Er sprach mit dem leiernden Singsang, den manche Marsianer bevorzugten.
    »Ich sehe acht Prozent, und der Wert sinkt.«
    Aus dem Wandgerät tönte etwas Fröhliches und Obszönes. Amos.
    »Ich sag dir, die Dichtungen sind kaputt«, meinte Alex.
    »Ich hab es doch zweimal überprüft«, antwortete Amos durch den Com. Der Pilot hob einen Kaffeepott, auf den das Wort Tachi gedruckt war.
    »Dreimal sollst du es probieren.«
    »Na gut. Warte.«
    Der Pilot trank schmatzend einen großen Schluck, dann bemerkte er Prax und nickte. Prax lächelte unsicher.
    »Geht es Ihnen besser?«, fragte Alex.
    »Ja, ich glaube schon«, antwortete der Botaniker. »Ich weiß es nicht genau.«
    Alex hockte sich auf einen Tisch. Der Raum war militärisch eingerichtet – alle Ecken und Kanten waren abgerundet und gepolstert, damit es bei Treffern oder plötzlichen Manövern keine Verletzungen gab. Die biometrische Schnittstelle der Vorratshaltung für die Lebensmittel war abgeschaltet. Die Überwachung der Vorräte sollte die Sicherheit erhöhen, was auf diesem Schiff aber nicht nötig war. Mit Buchstaben, die so groß waren wie seine Hand, stand der Name ROSINANTE an der Wand. Jemand hatte mit einer Schablone einen Strauß gelber Narzissen hinzugefügt, was gleichzeitig äußerst unpassend und doch angemessen schien. Wenn er richtig darüber nachdachte, schien das für die meisten Dinge auf dem Schiff zu gelten. Beispielsweise auch für die Besatzung.
    »Haben Sie sich gut eingelebt? Brauchen Sie etwas?«
    »Mir geht es gut.« Prax nickte. »Vielen Dank.«
    »Die haben uns da draußen ganz schön vermöbelt. Ich bin schon durch hässliche Gegenden geflogen, aber das da war ziemlich heftig.«
    Prax nickte und nahm eine Essensration aus dem Spender. Es war eine kräftige, saftige Paste aus Weizen und süßem

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