Calibans Krieg
eine Sekunde, die sich ewig dehnte, herrschte Chaos in der Kombüse. Die Plastikgeschosse prallten von der Rüstung und den Wänden ab und flogen kreuz und quer durch den Raum. Sie zerlegten Behälter mit Trockenwaren, rissen Töpfe und Pfannen aus den Magnethalterungen und schleuderten kleinere Utensilien durch die Luft, bis eine wahre Wolke aus Edelstahl und Plastikteilen entstand. Eine Kugel prallte ausgesprochen unglücklich ab, traf einen Wachmann mitten auf die Nase und schlug ihm ein Loch in den Schädel. Mit einem fast komischen Ausdruck der Überraschung sank er zu Boden.
Ehe zwei Sekunden verstrichen waren, setzte Bobbie sich in Bewegung, sprang über die stählerne Arbeitsinsel in der Mitte des Raumes und pflügte wie ein Footballspieler beim Tackle mit ausgebreiteten Armen durch die fünf noch stehenden Wächter. Mit einem satten Klatschen landeten die Wachleute an der gegenüberliegenden Wand und sanken reglos in sich zusammen. Ihr Anzug spielte die Lebenszeichen in das Helmdisplay ein, doch sie blendete die Daten aus, ohne richtig hinzusehen. Sie wollte es gar nicht genau wissen. Einer der Männer regte sich und hob die Waffe. Bobbie versetzte ihm einen leichten Stoß, der ihn quer durch den Raum gegen die hintere Wand schleuderte. Er rührte sich nicht mehr.
Sie sah sich um und suchte nach Kameras, konnte keine finden und hoffte, es sei trotzdem eine da. Wenn sie dies verfolgt hatten, würden sie vielleicht keine weiteren Leute mehr schicken.
An der Kielleiter entdeckte sie, dass die Gegner den Aufzug blockiert hatten, indem sie die Luke mit einer Brechstange aufgehebelt hatten. Die Sicherheitsprotokolle der Raumschiffe verhinderten, dass die Kabine zum nächsten Deck fuhr, solange die letzte Luke noch nicht geschlossen war. Bobbie zog die Brechstange heraus, schleuderte sie durch den Raum und drückte auf den Rufknopf. Der Lift stieg im Schacht bis zu ihrer Ebene empor und hielt an. Sie sprang hinein und wählte die acht Decks höher liegende Brücke. Acht weitere Druckschotts.
Acht mögliche Hinterhalte.
Sie ballte die Hände zu Fäusten, bis sich die Haut auf den Knöcheln in den Handschuhen schmerzhaft spannte. Mach schon.
Drei Decks höher hielt der Aufzug an, und die Konsole informierte sie, dass die Druckschotts zwischen ihr und der Brücke von Hand geöffnet worden waren. Die Besatzung gefährdete lieber das ganze Schiff, indem sie drei Decks dem Vakuum aussetzte, als sie auf die Brücke zu lassen. Es erfüllte sie mit Genugtuung, eine größere Bedrohung zu sein als ein plötzlicher Druckabfall.
Sie stieg aus dem Aufzug und betrat ein Deck, das überwiegend Mannschaftsquartiere beherbergte. Inzwischen war es evakuiert, nirgends war eine Menschenseele zu sehen. Nach einem raschen Rundgang hatte sie zwölf kleine Mannschaftskabinen und zwei Bäder gezählt, die man hier wohl doch eher als Lokus bezeichnen musste. Die Mannschaft konnte sich natürlich nicht an vergoldeten Armaturen erfreuen, und es gab weder eine offene Bar noch einen rund um die Uhr besetzten Zimmerservice. Als sie die eher spartanischen Unterkünfte der Crew betrachtete, fiel ihr Avasaralas Bemerkung wieder ein. Es waren gewöhnliche Mannschaftsmitglieder der Guanshiyin . Keiner von ihnen verdiente es, für das zu sterben, was auf Ganymed passiert war.
Im Nachhinein freute Bobbie sich sogar darüber, dass sie keine Waffe besaß.
Im Lokus fand Bobbie eine weitere Wartungsluke, die sie aufriss. Zu ihrer Überraschung endete der Wartungsgang allerdings nach wenigen Schritten. Dort waren irgendwelche Bauteile des Schiffs im Weg. Da sie die Guanshiyin nicht von außen gesehen hatte, konnte sie nicht bestimmen, was es war. Auf jeden Fall musste sie noch fünf Decks nach oben und wollte sich nicht von diesem Hindernis aufhalten lassen.
Nachdem sie zehn Minuten gesucht hatte, fand sie eine andere Wartungsluke, die bis zur Außenhülle führte. Die beiden Decks, auf denen sie schon die Luken aufgerissen hatte, würden die Luft verlieren, wenn sie auch diese hier gewaltsam öffnete. Doch der Aufzugschacht war auf Avasaralas Deck abgeschottet, und daher konnte ihren Leuten nichts passieren. Außerdem musste sie unbedingt zu den höheren Decks vorstoßen, wo sich vermutlich der größte Teil der Crew aufhielt.
Sie dachte an die sechs Männer in der Kombüse und wurde traurig. Gewiss, die anderen hatten zuerst geschossen, doch wenn einige von ihnen noch lebten, würden sie im Schlaf ersticken.
Gleich darauf stellte sich heraus,
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