Calibans Krieg
dem marsianischen Kommandanten. »Oder wenigstens des Teils der UN-Regierung, dem ich vorstehe. Wir fliegen nach Io, um einige weitere Schiffe in die Luft zu jagen und die Apokalypse vielleicht noch aufzuhalten. Kommen Sie mit?«
Bobbie öffnete einen privaten Kanal zu Avasarala.
»Wir sind jetzt alle Verräter.«
»Ha!«, machte die alte Dame. »Nur wenn wir verlieren.«
44 Holden
Von außen war der Schaden an der Rosinante kaum zu erkennen. Die drei Geschosse der Nahkampfkanonen, die ein UN-Zerstörer auf sie abgefeuert hatte, waren kurz vor der Krankenstation eingeschlagen, quer durch das Schiff geflogen und zwei Decks tiefer in der Werkstatt wieder ausgetreten. Auf diesem Weg hatte eines von ihnen drei Kabinen auf dem Crewdeck erwischt.
Holden hatte damit gerechnet, den kleinen Botaniker, vor allem nach dem Scherz über die beschmutzte Unterwäsche, als Nervenbündel vorzufinden. Doch als Holden nach der Schlacht nach ihm sah, war er überrascht, dass der Wissenschaftler nur gelassen mit den Achseln zuckte.
»Es war sehr beängstigend.« Mehr hatte Prax nicht zu sagen.
Das konnte man leicht als Schock deuten. Zuerst die Entführung seiner Tochter, dann das monatelange Herumirren auf Ganymed, während alle sozialen Strukturen zusammenbrachen. Man konnte Prax’ Ruhe als Vorbotin eines völligen geistigen und emotionalen Zusammenbruchs auffassen. Der Mann hatte ja sowieso schon ein halbes Dutzend Mal zur Unzeit die Selbstherrschung verloren. Holden nahm aber an, dass erheblich mehr in Prax steckte, als man auf den ersten Blick sah. Der Mann besaß eine unerbittliche Antriebskraft. Und wenn das Universum ihn noch so oft umwarf, solange er noch nicht tot war, würde er sich wieder aufrappeln und weiter seinem Ziel entgegenschlurfen. Holden vermutete, dass der Mann ein sehr guter Wissenschaftler gewesen war. Angespornt von kleinen Erfolgen, aber durch Rückschläge nicht aus der Ruhe zu bringen. Weitertappen, bis er dort ankam, wo er sein musste.
Inzwischen, ein paar Stunden nachdem ihn beinahe ein Hochgeschwindigkeitsgeschoss durchlöchert hätte, war Prax unter Deck mit Naomi und Avasarala unterwegs und flickte im Innern des Schiffs die Löcher. Sie hatten ihn nicht einmal darum gebeten. Er war einfach aus der Koje gestiegen und hatte sich ihnen angeschlossen.
Holden stand auf der Außenhülle vor einem Einschussloch. Das kleine Projektil hatte ein vollkommen rundes Loch in die fünf Zentimeter dicke, extrem belastbare Legierung gestanzt und nicht einmal die Ränder verformt.
»Ich hab’s gefunden«, sagte Holden. »Hier kommt kein Licht heraus, also haben sie es anscheinend bereits von innen versiegelt.«
»Schon unterwegs.« Amos trampelte auf den Magnetstiefeln über die Hülle. Er hatte ein tragbares Schweißgerät in der Hand, Bobbie folgte ihm mit ihrer schicken motorverstärkten Rüstung und brachte große Platten zum Flicken der Löcher mit.
Während Bobbie und Amos die Außenhülle abdichteten, wanderte Holden umher, um das nächste Leck zu finden. Die drei flugtauglichen marsianischen Kriegsschiffe schwebten um die Rosinante herum wie eine Ehrengarde. Da sie die Antriebe ausgeschaltet hatten, waren sie nur als winzige schwarze Flecken sichtbar, die vor dem Sternenfeld vorbeizogen. Selbst wenn die Rosinante seinem Raumanzug erklärte, wo die Schiffe waren und sein Helmdisplay sie markierte, waren sie fast unsichtbar.
Holden verfolgte den marsianischen Kreuzer im Helmdisplay, bis er die Ekliptik erreichte und sich vor den hellen Fleck der Milchstraße schob. Einen Moment lang war das Schiff ein schwarzer Umriss im weißen Kranz der Milliarden Jahre alten Sterne. An der Seite stieß eine Düse einen halb durchsichtigen weißen Kegel aus, dann verlor sich das Schiff wieder in der sternenbesetzten Schwärze. Holden wünschte sich, Naomi stünde neben ihm und sähe das Gleiche wie er. Die Sehnsucht war beinahe ein körperlicher Schmerz.
»Ich habe ganz vergessen, wie schön es hier draußen ist«, sagte er über den privaten Kanal.
»Gibst du dich schon wieder deinen Tagträumen hin und lässt die anderen arbeiten?«, antwortete sie.
»Ja. Die meisten dieser Sterne besitzen sogar Planeten. Milliarden von Welten. Fünfhundert Millionen Planeten in der Lebenszone, so lautete die letzte Schätzung. Ob unsere Enkelkinder einige von ihnen sehen werden?«
» Unsere Enkelkinder?«
»Wenn dies vorbei ist.«
»Außerdem«, erinnerte Naomi ihn, »hocken auf mindestens einem dieser Planeten die Meister
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