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Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
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mich sofort mit meinem Kontaktmann auf Tycho in Verbindung und erkundige mich, wo der Rest der versprochenen Lieferung bleibt. Ich bin sicher, dass er bereits unterwegs ist.«
    Santichai zuckte mit den Achseln. Wieder flatterte orangefarbener Stoff.
    »Dann sehen Sie mal zu.« Damit rauschte er davon und stürmte auf einen Gabelstapler zu. »Sie da! Sie! Sehen Sie nicht das Schild, auf dem ›Medikamente‹ steht? Warum stellen Sie dort Waren ab, die keine Medikamente sind?«
    Holden nutzte die Ablenkung, um endlich zu fliehen, und eilte zu Naomi und Melissa hinüber. Melissa wartete, während Naomi auf ihrem Terminal einen Vordruck geöffnet hatte und einige Formalitäten erledigte.
    Holden sah sich unterdessen im Lagerhaus um. Die Somnambulist war nur eines von fast zwanzig Hilfsschiffen, die in den letzten vierundzwanzig Stunden gelandet waren. Der riesige Raum füllte sich rasch mit Kisten, die Vorräte enthielten. Die kalte Luft roch nach Staub und Ozon und dem heißen Öl der Gabelstapler. Außerdem konnte man einen unangenehmen Verwesungsgeruch wahrnehmen, als verfaulten irgendwo Pflanzen. Santichai schoss schon wieder durch das Lagerhaus und gab lautstark zwei Arbeitern Anweisungen, die eine schwere Kiste schleppten.
    »Ihr Mann ist schon etwas Besonderes«, sagte Holden zu Melissa.
    Sie war größer und schwerer als ihr winziger Gatte, hatte aber das gleiche Büschel formloser schütterer weißer Haare auf dem Kopf. Außerdem besaß sie hellblaue Augen, die fast verschwanden, wenn sie lächelte, was sie jetzt gerade tat.
    »Mir ist noch nie jemand begegnet, der sich mehr um das Wohlergehen anderer Menschen und weniger um deren Gefühle kümmert als er«, erklärte sie. »Aber wenigstens sorgt er dafür, dass alle satt sind, ehe er ihnen vorhält, was sie alles falsch gemacht haben.«
    »So, das war’s wohl.« Naomi drückte auf einen Knopf, um das ausgefüllte Formular an Melissas Terminal zu senden. Es war ein bezauberndes altmodisches Modell, das sie aus der Tasche zog, als es piepsend den Empfang bestätigte.
    »Mrs. Supitayaporn«, setzte Holden an.
    »Melissa.«
    »Melissa, wie lange sind Sie und Ihr Mann denn schon auf Ganymed?«
    Sie tippte sich mit einem Finger an das Kinn und starrte ins Leere. »Fast zehn Jahre, würde ich sagen. Ist es wirklich schon so lange her? Ja, so muss es sein, weil Drew gerade ihren Kleinen bekommen hat, und er …«
    »Ich frage nur, weil anscheinend niemand außerhalb von Ganymed weiß, wie all das hier begonnen hat.« Holden machte eine ausholende Geste.
    »Meinen Sie die Station?«
    »Nein, die Krise.«
    »Nun ja, die Soldaten der UN und der Marsrepublik haben aufeinander geschossen. Kurz danach gab es die ersten Systemausfälle …«
    »Ja«, fiel Holden ihr ins Wort. »Das verstehe ich schon. Aber warum haben sie das getan? Ein ganzes Jahr lang hat niemand geschossen, und Erde und Mars haben diesen Mond gemeinsam besetzt gehalten. Vor der Sache mit Eros gab es einen Krieg, der aber nicht hierher übergegriffen hat. Dann auf einmal beginnen sie zu schießen. Was hat das ausgelöst?«
    Melissa verzog verwirrt das Gesicht. Auch bei dieser Miene verschwanden ihre Augen fast zwischen den unzähligen Runzeln.
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich habe angenommen, dass sie auch sonst überall aufeinander schießen. Wir konnten hier die Nachrichten nicht richtig verfolgen.«
    »Nein«, widersprach Holden. »Es ist nur hier passiert, und es hat auch nur ein paar Tage gedauert. Dann haben sie ohne jegliche Erklärung wieder aufgehört.«
    »Das ist seltsam«, räumte Melissa ein. »Aber ich habe keine Ahnung, was es zu bedeuten hat. Und was da auch passiert, es beeinflusst nicht das, was wir hier tun.«
    »Wohl nicht«, stimmte Holden zu.
    Naomi hakte sich bei Holden ein, und sie gingen zum Ausgang des Lagerhauses, um sich in der Station umzusehen. Unterwegs mussten sie Vorratskisten und Helfern ausweichen.
    »Wie können sie sich hier eine Schlacht liefern, und niemand weiß den Grund?«, fragte sie.
    »Sie selbst wissen es«, antwortete Holden. »Irgendjemand weiß es.«
    Am Boden sah die Station schlimmer aus als von oben aus dem Weltraum. Die lebenswichtigen Sauerstoff produzierenden Pflanzen an den Wänden der Korridore bekamen eine ungesunde gelbe Farbe. In vielen Gängen brannte überhaupt kein Licht, und die automatisch schließenden Drucktore waren von Hand aufgehebelt und mit Keilen festgesetzt worden. Wenn ein Bereich der Station Druck verlor, würden viele

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