Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
Vom Netzwerk:
nächsten Besuch in der Drogerie oder in einem Vergnügungsviertel nachdachten.
    So erzählte man es sich jedenfalls. Inzwischen war Bobbie gar nicht mehr so sicher.
    Nach mehreren Besuchen bei verschiedenen Informationsständen, die im ganzen Komplex verteilt waren, entdeckte sie schließlich einen Ausgang. Ein gelangweilter Wachmann nickte ihr zu, dann war sie draußen.
    Draußen. Ohne Raumanzug.
    Fünf Sekunden später klammerte sie sich an die Tür, die jedoch ausschließlich als Ausgang diente, um wieder nach drinnen zu kommen. Der Wächter erbarmte sich und stieß ihr die Tür auf. Sie rannte hinein und brach keuchend und hyperventilierend auf einem Sofa zusammen.
    »Das erste Mal?«, fragte der Wachmann lächelnd.
    Bobbie brachte kein Wort heraus, konnte aber immerhin nicken.
    »Mars oder Luna?«
    »Mars«, sagte sie, als ihr Atem wieder langsamer ging.
    »Ja, das dachte ich mir gleich. Die Kuppeln. Menschen, die immer in Kuppeln gelebt haben, geraten leicht in Panik. Die Gürtler machen sich in die Hosen. Das ist jetzt sogar wörtlich gemeint. Meist setzen wir sie unter Drogen und schicken sie nach Hause, damit sie nicht ständig kreischen.«
    »Ja.« Bobbie war froh, dass der Wächter redete, während sie sich sammelte. »Kann ich mir vorstellen.«
    »Sind Sie angekommen, als es draußen dunkel war?«
    »Ja.«
    »Das machen sie oft, wenn Leute von draußen kommen. Das hilft gegen die Agoraphobie.«
    »Ja.«
    »Ich halte für Sie die Tür noch ein Weilchen offen, falls Sie gleich wieder reinwollen.«
    Die Annahme, dass sie es noch einmal versuchen würde, berührte sie. Erst jetzt betrachtete sie den Wachmann etwas genauer. Er war gedrungen wie alle Erder, hatte aber eine samtige dunkle Haut, die fast blau schimmerte. Er hatte eine kompakte athletische Gestalt und strahlende graue Augen. Er lächelte sie ohne jeden Spott an.
    »Danke«, sagte sie. »Bobbie. Bobbie Draper.«
    »Chuck«, antwortete er. »Sehen Sie auf den Boden. Dann blicken Sie langsam zum Horizont. Was Sie auch tun, blicken Sie nicht direkt nach oben.«
    »Ich glaube, diesmal klappt es besser. Vielen Dank, Chuck.«
    Chuck warf einen raschen Blick auf ihre Uniform. »Semper fi, Gunny.«
    »Hurra, hurra«, erwiderte Bobbie grinsend.
    Beim zweiten Ausflug nach draußen hielt sie sich an Chucks Empfehlungen und blickte zuerst nur auf den Boden. Das half ihr, die Überflutung ihrer Sinne zu vermeiden. Aber nicht sehr lange. Tausend wetteifernde Gerüche brachen über sie herein. Satter Duft von Pflanzen und Erde wie in einer Gartenkuppel. Öl und heißes Metall wie in einer Fabrik. Ozon von Elektromotoren. Alles traf sie im gleichen Augenblick, überlagerte sich gegenseitig und mischte sich mit Gerüchen, die zu exotisch waren, um einen Namen für sie zu finden. Und dann die Geräusche, eine beständige Kakophonie. Menschen redeten, Baumaschinen ratterten, Elektroautos surrten, ein Transorbitalshuttle startete, alles in demselben Augenblick. Kein Wunder, dass sie in Panik geraten war. Zwei Sinnesorgane reichten schon aus, um das Gehirn zu überfordern. Und dann dieser unglaublich blaue Himmel, der sich bis in die Unendlichkeit erstreckte …
    Bobbie stand mit geschlossenen Augen draußen und atmete, bis Chuck hinter ihr die Tür schloss. Jetzt war sie auf sich gestellt. Wenn sie sich umdrehte und Chuck bat, sie wieder hereinzulassen, würde sie damit eine Niederlage eingestehen. Er hatte zweifellos eine Weile im Marinecorps der UN gedient, und vor diesem Konkurrenten wollte sie nicht schwach erscheinen. Teufel, nein.
    Nachdem sich Ohren und Nase ein wenig an das Trommelfeuer gewöhnt hatten, öffnete sie wieder die Augen und betrachtete den betonierten Gehweg. Langsam hob sie den Blick bis zum Horizont. Vor ihr verliefen lange Wege durch gewissenhaft gepflegte Grünanlagen. Dahinter entdeckte sie eine ferne graue Wand, die mindestens zehn Meter hoch war. In regelmäßigen Abständen erhoben sich Wachtürme. Der UN-Komplex war überraschend stark gesichert. Sie fragte sich, ob sie überhaupt nach draußen gelangen würde.
    Sie hätte sich keine Sorgen machen müssen. Als sie sich dem bewachten Tor zur Außenwelt näherte, fragte das Sicherheitssystem ihr Terminal ab und bestätigte ihren VIP-Status. Eine Kamera über dem Wachtposten scannte ihr Gesicht und bestätigte ihre Identität, als sie noch zwanzig Meter vom Tor entfernt war. Sobald sie den Ausgang erreichte, nahm der Wachtposten Haltung an, salutierte und fragte, ob sie eine Fahrgelegenheit

Weitere Kostenlose Bücher