Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James S. A. Corey
Vom Netzwerk:
gewalttätiger Menschen bezogen hatte, galt das Spannen eines Abzugs nicht so sehr als Angriff, sondern eher als nachdrückliche Stellungnahme. Ein Polizist, der jemanden befragte, begann mit Drohungen und Ohrfeigen, und wenn er dann die Waffe spannte, war es Zeit, ihn ernst zu nehmen. Prax hatte darüber so wenig nachgedacht wie über die Frage, welches Becken er zum Pinkeln auswählte, wenn er nicht allein auf der Toilette war, oder wie er eine Röhrenbahn betreten und wieder verlassen musste. So hatte er es einfach gelernt: Man schrie, man drohte, man spannte die Waffe, und dann redeten die Leute.
    »Wo ist mein kleines Mädchen?«, rief er und spannte die Waffe.
    Die Reaktion kam augenblicklich: ein scharfes, stotterndes Knallen wie von einem versagenden Hochdruckventil, aber viel lauter. Er taumelte zurück und ließ beinahe die Pistole fallen. Hatte er versehentlich geschossen? Nein, sein Finger hatte den Abzug nicht einmal berührt. Ein stechender Geruch erfüllte die Luft. Die Frau mit der Pizza war verschwunden. Nein, nicht verschwunden. Sie lag am Boden. Mit ihrem Kinn war etwas Schreckliches passiert. Der zerstörte Mund bewegte sich sogar noch, als wollte sie etwas sagen. Prax hörte jedoch nur ein schrilles Kreischen und fragte sich, ob ihm die Trommelfelle geplatzt waren. Die Frau mit dem zerstörten Unterkiefer atmete noch einmal tief und schaudernd ein und rührte sich nicht mehr. Beinahe abwesend bemerkte er, dass sie eine Pistole gezogen hatte, die sie immer noch krampfhaft festhielt. Er war nicht sicher, wann sie das getan hatte. Das Handterminal spielte jetzt ein anderes Stück Tanzmusik, das irgendwie das Klingeln in seinen Ohren übertönte.
    »Ich habe sie nicht erschossen.« Seine Stimme klang, als befände er sich im Vakuum, wo es keine Luft gab, die den Schall übertragen konnte. Trotzdem konnte er atmen. Wieder fragte er sich, ob ihm die Schüsse die Trommelfelle durchlöchert hatten. Er sah sich um. Alle anderen waren fort. Er war allein in dem Raum. Nein, sie waren in Deckung gegangen. Ihm fiel ein, dass er besser ihrem Beispiel folgen sollte. Nur dass niemand mehr schoss, und er wusste sowieso nicht, wohin.
    Dann hörte er Holdens Stimme wie aus weiter Ferne.
    »Amos?«
    »Ja, Käpt’n?«
    »Könntest du ihm jetzt bitte die Waffe abnehmen?«
    »Bin schon dabei.«
    Amos richtete sich hinter einer Kiste auf, die dicht an der Wand stand. Seine marsianische Rüstung hatte einen langen hellen Streifen auf der Brust und zwei Dellen direkt unter den Rippen. Amos humpelte zu Prax.
    »Tut mir leid, Doc«, sagte er. »Es war wohl doch keine gute Idee, Ihnen das Ding zu geben. Vielleicht beim nächsten Mal, was?«
    Prax starrte die offene Hand des Mannes an, dann überließ er ihm vorsichtig die Waffe.
    »Wendell?«, rief Holden. Prax war immer noch nicht sicher, wo der Kapitän war, es klang aber näher. Wahrscheinlich lag das nur daran, dass Prax’ Gehör sich erholte. Der beißende Geruch verflog, und jetzt war so etwas wie Kupfer zu riechen. Er dachte an verwesende Komposthaufen: warm, organisch, unschön.
    »Ein Mann gefallen«, erklärte Wendell.
    »Wir brauchen einen Sanitäter«, sagte Holden.
    »Das ist gut gemeint, aber sinnlos«, widersprach Wendell. »Beenden Sie die Mission. Wir haben die meisten Gegner erwischt, aber ein oder zwei sind durch die Tür entkommen und werden wohl Alarm schlagen.«
    Einer der Pinkwater-Söldner stand auf, das Blut lief ihm am linken Arm hinunter. Ein anderer lag am Boden, die Hälfte des Kopfes war einfach verschwunden. Dann tauchte auch Holden auf. Er massierte sich den Ellbogen, und an der linken Schläfe hatte er einen frischen Kratzer.
    »Was ist passiert?«, fragte Prax.
    »Sie haben eine Schießerei angezettelt«, sagte Holden. »Na gut, lasst uns weitergehen, ehe sie sich auf die Verteidigung einrichten können.«
    Erst jetzt bemerkte Prax die Toten. Männer und Frauen, die gerade noch Pizza gegessen und Musik gehört hatten. Sie hatten Pistolen, aber Holdens Leute besaßen Automatikgewehre, Sturmgewehre und militärische Rüstungen. Dieses Ergebnis war zu erwarten gewesen.
    »Amos, geh voraus«, befahl Holden. Der große Mann trat durch die Tür ins Unbekannte. Prax wollte folgen, doch der Anführer der Pinkwater-Leute hielt ihn am Ellbogen fest.
    »Sie bleiben lieber bei mir, Professor«, sagte er.
    »Ja, ich … alles klar.«
    Jenseits der Tür lagen Räume, die anderen Zwecken dienten. Sie befanden sich immer noch eindeutig in den alten

Weitere Kostenlose Bücher