Caligula - Eine Biographie
sich nun, so ist zu fragen, ein junger Mann, der zwar über einen prestigereichen Familienhintergrund verfügte und sich erfolgreich im Intrigengeflecht um den alten Kaiser behauptet hatte, der aber über keinerlei Erfahrungen im traditionellen politischen Raum verfügte, dauerhaft als Kaiser behaupten können? Wie würde sich die Aristokratie, deren Spitzen nach wie vor aus erfahrenen Alten bestand, mit einem jungen Mann als Herrscher abfinden und arrangieren?
Fürs erste ist eine Antwort schon gegeben worden. Caligula spielte zunächst die Rolle eines augusteischen Prinzeps, sicherte anschließend seine Position im Zentrum der Macht durch die Beseitigung rivalisierender Kräfte und begann dann eine geschickte Sachpolitik, die seine Stellung als Herrscher gegenüber den politisch relevanten Gruppen der Bevölkerung stabilisierte, ohne der Aristokratie allzuweit entgegenzukommen. Und diese schien sich damit abzufinden. Die Offenheit, die die Situation nach wie vor kennzeichnete, wird jedoch deutlich, wenn man einen Sachverhalt bedenkt, der bislang noch nicht zur Sprache gekommen ist: Politik beschränkte sich im antiken Rom nicht auf den Bereich des Handelns in den dafür vorgesehenen Institutionen, auf Senat, Magistratur und – unter Caligula vorübergehend – Volksversammlungen. Vielmehr war auch der gesamte Bereich des Hauses, das die Römer selbst als «privat» bezeichneten und der
res publica,
dem Gemeinwesen, begrifflich entgegensetzten, eine in hohem Maße politische Angelegenheit. Das Private war in Rom gewissermaßen politisch, und dasPolitische basierte damit in hohem Maße auf den persönlichen Beziehungen der daran Beteiligten.
Die Häuser der römischen Aristokratie hatten sich zur Zeit der Republik zu informellen Kommunikationszentren entwickelt, die das politische Handeln in den Institutionen weitgehend vorstrukturierten. Gegenseitige Besuche zum Morgenempfang und zu abendlichen Gastmählern konstituierten und manifestierten persönliche Freundschafts- und Klientelbeziehungen, die die dazu Erscheinenden miteinander verbanden. Diese Beziehungen selbst hatten patronalen Charakter. Man half sich gegenseitig vor Gericht, in Geldangelegenheiten, bei Wahlen und in politischen Auseinandersetzungen. Man bedachte sich gegenseitig im Testament mit Schenkungen für den Fall des Ablebens. Es herrschten klare Regeln in der gegenseitigen Unterstützung zwischen Freunden und Klienten, die das Handeln der Beteiligten erwartbar und berechenbar machten. Die Größe des Hauses, das ein Aristokrat führte, die Anzahl und der Rang seiner dort zusammenkommenden Freunde und Klienten symbolisierten damit zugleich seine realen Machtchancen im institutionellen Bereich, der Politik im engeren Sinne. Ähnlich war es mit der materiellen Pracht, die im Haus entfaltet wurde. Marmorschmuck und kostbare Gemälde, Möbel und andere Einrichtungsgegenstände, das silberne und goldene Tafelgeschirr, dann der bei Gastmählern betriebene Aufwand an erlesenen Speisen und Unterhaltungsdarbietungen – all dies manifestierte den Reichtum und die patronalen Möglichkeiten des Hausherrn, den sozialen Status und die politischen Chancen, die er besaß oder zumindest beanspruchte. Entsprechend waren Größe und Pracht aristokratischer Häuser Gegenstand genauer gegenseitiger Beobachtung und Konkurrenz.
Ähnlich wie das Zusammentreffen der Aristokratie im Senat waren auch die häuslichen Interaktionen von bestimmten zeremoniellen Regelungen geprägt, die den politisch-sozialen Rang der daran Beteiligten zum Ausdruck brachten. Bei der Salutatio drückte sich der Status der Besucher und ihre persönliche Nähe zum Hausherrn durch die Räume aus, in denen sie sich einfinden durften, sowie durch die Reihenfolge, in der sie begrüßt wurden. Beim Gastmahl, zu dem üblicherweise neun Personenzusammenkamen und auf drei Speisesofas um einen Tisch lagerten, kam den verschiedenen Plätzen unterschiedlicher Prestigewert zu. Die Wichtigkeit dieser zeremoniellen Regelungen, die aus der Sicht einer heutigen, weitgehend egalitären Gesellschaft eher fremd erscheinen, dokumentieren die Konflikte, die bei ihrer Mißachtung entstehen konnten.
Wie sollte nun ein Kaiser sein Haus gestalten, wer sollte dort verkehren, welcher Aufwand sollte dort getrieben, welche zeremoniellen Regelungen beachtet werden? Wie sollte er seine «persönlichen» Beziehungen zur Aristokratie gestalten? Wie oben schon bemerkt wurde, hatten Augustus und Tiberius hier kaum Vorgaben
Weitere Kostenlose Bücher