Caligula - Eine Biographie
Während er sich im Haus über seine Standesgenossen erhob, ließ er es in den Arenen an kaiserlicher, ja an aristokratischer Würde fehlen. Verschiedene Gründe lassen sich für sein Verhalten anführen: zu wenig aristokratische Sozialisation aufgrund seiner langen Entfernung aus der senatorischen Gesellschaft während der Jahre auf Capri; das Auskosten seiner neuen, fast unbegrenzt erscheinenden Handlungsmöglichkeiten nach den Jahren der Unterdrückung und Gefährdung; nicht zuletzt aber auch die Unbestimmtheiten der kaiserlichen Rolle, die ihm seine Vorgänger hinterlassen hatten. Die Frage war nun: Wie würde die römische Aristokratie auf Dauer auf Caligulas Verhaltensweisen reagieren? Einen jungen, verschwenderischen, zirkusbegeisterten Kaiser hatte es in Rom noch nie gegeben.
4. Der Tod Drusillas
Am 10. Juni des Jahres 38 starb unerwartet Caligulas Schwester Drusilla, die er stets besonders bevorzugt und für den Fall seines eigenen Ablebens zur Alleinerbin erklärt hatte. Es wird berichtet, daß ihn der Verlust so außerordentlich schmerzte, daß er es nicht über sich brachte, an dem aufwendigen öffentlichen Begräbnis, mit dem sie ausgezeichnet wurde, teilzunehmen. Ebensowenig wie er in einer dem Kaiser gemäßen Weise sich freute, kritisiert Seneca, ebensowenig habe er auch in entsprechender Haltung trauern können. Er habe den Umgang mit Menschen in Rom gemieden, sich auf sein Landgut in den Albaner Bergen zurückgezogen und versucht, sich durch Würfel- und Brettspiele zu zerstreuen. Dann sei er ziellos durch die Gegend gefahren und habe sich aus Trauer Bart und Haare wachsen lassen.
Caligula ließ Drusilla außergewöhnliche posthume Ehren zuteil werden. Zusätzlich zu allen seinerzeit der Livia erwiesenen Ehrungen wurde sie durch Senatsbeschluß divinisiert, das heißt unter die Götter versetzt, so wie zuvor nur die Herrscher Iulius Caesar und Augustus. In der Kurie wurde ein goldenesBild von ihr aufgestellt, im Venustempel auf dem Forum eine Statue, die so groß wie die der Göttin war. Es sollte ihr ein eigener Tempel erbaut und dafür ein Priesterkollegium eingerichtet werden. Alle Frauen sollten, wenn sie einen Eid ablegten, bei ihrem Namen schwören, wie auch der Kaiser selbst fortan stets bei der göttlichen Drusilla schwor. An ihrem Geburtstag sollten in Zukunft großartige Spiele veranstaltet werden. In den Städten des Reiches sollte sie als Panthea, als «Allgöttin» verehrt werden, was auch, wie wir aus Inschriften des griechischen Ostens wissen, umgesetzt wurde. Die Beachtung der Trauervorschriften in Rom wurde äußerst scharf kontrolliert. Es war verboten, in den Thermen zu baden oder Gastmähler zu veranstalten. Ein Mann, der Wasser zum Mischen von Wein verkaufte, soll wegen Majestätsbeleidigung hingerichtet worden sein. Der Senator Livius Geminus erklärte unter Eid, er habe gesehen, wie Drusilla zum Himmel fuhr und mit den Göttern Zwiesprache hielt, und wünschte sich und seinen Kindern für den Fall einer Lüge den Tod. Die Schmeichelei war in diesem Falle, anders als bei der Krankheit des Caligula, erfolgreich. Er wurde mit einer Million Sesterzen belohnt.
Seneca schreibt, man habe zu jener Zeit nicht gewußt, ob der Kaiser seine Schwester mehr betrauert oder vergöttert sehen wollte, und stellt das Handeln Caligulas als völlig maßlos dar. Auch moderne Autoren haben ihm hier Merkwürdigkeiten bescheinigt und sogar über einen seelischen Kollaps spekuliert. Zweifellos zeugt seine Reaktion von außergewöhnlicher Betroffenheit. Gegen die Maßlosigkeit der Trauer spricht jedoch, daß die Divinisierung eines toten männlichen Herrschers im Rahmen der religiösen Vorstellungen jener Zeit nichts Besonderes und daß Drusilla eben seine designierte Nachfolgerin war. Ihre Vergöttlichung war zwar der erste, nicht aber der letzte Fall der Aufnahme einer Frau der Kaiserfamilie in den römischen Götterhimmel. Dasselbe wurde später zum Beispiel der Livia unter Claudius oder der Poppaea Sabina unter Nero zuteil.
Daß die außergewöhnlichen Ehrungen der toten Drusilla auch eine dynastische Demonstration sein sollten, zeigt Caligulas durchaus rationales Verhalten im unmittelbaren Anschluß daran. Denn wieder war nun die Nachfolgefrage völlig offen,und wie sich schon im Jahr zuvor gezeigt hatte, konnte diese Situation im Falle einer Krankheit des Kaisers leicht zu gefährlichen Irritationen führen. Wenige Monate nach dem Tod der Schwester heiratete Caligula daher erneut. Er wählte
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