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Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Worth
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Schule gegangen: die Jungen in Eton und Chummy in Roedean. Man hatte sie der Obhut von Vormunden anvertraut, denn ihre Mutter blieb bei ihrem Mann in Indien. Chummy hatte offenbar seit ihrem sechsten Lebensjahr im Internat gewohnt und kannte kein anderes Leben. Sie hing mit rührender Leidenschaft an ihren Familienfotos – vielleicht, weil sie ihrer Familie nirgends näher war – und liebte besonders eins, das sie mit etwa vierzehn Jahren an der Seite ihrer Mutter zeigte.
    »Das war, als ich Ferien mit der Frau Mama machte«, sagte sie stolz, ohne sich bewusst zu sein, welches Pathos dabei in ihrer Stimme lag.
    Nach Roedean besuchte sie in der Schweiz eine Privatschule, dann ging es zurück nach London, an die Lucy Clayton Charm School , wo sie sich auf die Einführung bei Hofe vorbereitete. Es war die Zeit der Debütantinnen, als die Töchter der »besten« Familien des Landes noch ihr »coming out« hatten – was ja heute einen ganz anderen Sinn hat. Damals bedeutete es, dass man in aller Form im Buckingham Palace dem König vorgestellt wurde. Auch Chummy war vorgestellt worden, zwei Fotos zeugten von dem großen Ereignis. Auf dem ersten stand unverkennbar Chummy in einem übertrieben spitzenverzierten Ballkleid mit Bändern und Blüten inmitten einer Gruppe ebenso zurechtgemachter Mädchen, die sie mit ihren riesigen, knochigen Schultern überragte. Auf dem zweiten Foto wurde sie George VI . vorgestellt. Ihre schiere Größe und ihr kantiges Äußeres betonten den zierlichen Charme der Königin und die zarte Schönheit der beiden Prinzessinnen Elizabeth und Margaret. Ich frage mich, ob Chummy bewusst war, wie grotesk sie auf den Fotos aussah, die sie uns so voller Zufriedenheit und Freude zeigte.
    Nach der Nummer als Debütantin kam ein Jahr an einer Cordon-Bleu-Schule, die eine kleine Anzahl ausgewählter junger Damen in ihrem Koch-Internat aufnahm. Hier erlernte Chummy die hohe Kunst, eine perfekte Gastgeberin zu sein – die perfekte Horsd’œvres oder eine perfekte Foie gras zubereitet –, doch sie blieb eine ungelenke, unbeholfene Erscheinung in Übergröße, als Gastgeberin gesellschaftlicher Anlässe völlig ungeeignet. Also wurde beschlossen, dass eine Ausbildung an der besten Handarbeitsschule Londons das Richtige für sie sei. Zwei Jahre lang häkelte, stickte und klöppelte sie, fertigte Occhi, Quilts und Lochstickereien. Zwei Jahre lang saß sie an der Maschine, fügte Schultern zusammen und nähte doppelte Säume. Während die anderen Mädchen munter fischgräteten, federstickten und fröhlich – oder traurig – über Jungs und Freunde plapperten, blieb Chummy, die alle mochten, aber niemand liebte, abseits – eine Kameradin, aber nicht mehr.
    Sie wusste nicht, wie ihr geschah, doch plötzlich, wie aus dem Nichts, entdeckte sie ihre Berufung: die Pflege und Gott. Chummy wollte Missionarin sein.
    Auf dem Höhepunkt ihrer Begeisterung schrieb sie sich an der Nightingale School of Nursing am St Thomas’s Hospital in London ein. Vom ersten Tag an war es eine Erfolgsgeschichte und sie gewann an drei aufeinanderfolgenden Jahren den Nightingale-Preis. Sie liebte die Arbeit auf Station und spürte zum ersten Mal Selbstvertrauen, denn sie war kompetent und sie wusste, dass sie endlich angekommen war. Die Patienten liebten sie, das höhergestellte Personal begegnete ihr mit Respekt und die Jüngeren verehrten sie. Trotz ihrer Größe war sie feinfühlig und sie hatte ein intuitives Gespür für Patienten, besonders für die sehr alten, schwer kranken und sterbenden. Sogar ihre Tollpatschigkeit – die in jungen Jahren so typisch für sie gewesen war – war auf einmal verschwunden. Auf Station ließ sie nichts fallen, sie machte nichts kaputt, bewegte sich nicht linkisch und prallte mit niemandem zusammen. All dies plagte sie offenbar nur in der Öffentlichkeit, für die sie weiterhin völlig unbrauchbar schien.
    Natürlich machten sich die Medizinstudenten und die jungen Ärzte, die zu neunzig Prozent Männer waren und immer Ausschau nach hübschen Schwestern hielten, über sie lustig und rissen grobe Witze über die Schwierigkeit, einen Brauereigaul zu besteigen, und fragten sich, wer von ihnen Hengst genug sei, es zu versuchen. Erstsemestern wurde von einer bezaubernd schönen Schwester auf der Station Nord berichtet, mit der man durchaus ein Blinddate arrangieren könne, doch sie ergriffen vor Schreck die Flucht, sobald die Wahrheit ans Tageslicht kam, und schworen den Possenreißern Vergeltung.

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