Callboys - Die Schönen der Nacht
halbkreisförmige Auffahrt, die zum Vordach über dem Eingang führte. „Benimm dich nicht so lächerlich. Ich bin schon da.“
„Er redet nicht mit mir“, flüsterte sie, plötzlich in kämpferischem Ton. „Er ignoriert mich komplett. Er ist wirklich wütend auf mich, Grace.“
Es fiel mir ziemlich schwer, mir den sanftmütigen Jared zornig vorzustellen, aber ich ahnte, welche Gründe er hatte. „Es tut mir leid, das hören zu müssen, aber ich brauche ihn, um diesen Auftrag zu erledigen, und du musst ihn zu mir herausschicken.“
„Er ist wirklich wütend auf mich“, wiederholte sie.
Irgendwo in meinem Inneren fand ich die Geduld, weiter freundlich zu bleiben. „Rede einfach mit ihm, Shelly. So wie du es schon hundertmal getan hast. Das ist doch absolut nichts Neues für dich.“
Sie stieß so etwas wie ein schniefendes Schnauben hervor, doch ich hörte das Knacken der Gegensprechanlage, und nach einer Sekunde stieß sie stotternd seinen Namen hervor. „J-J-Jared?“
Seine Antwort war weniger klar zu hören, gedämpft durch die Entfernung, die Sprechanlage und mein Telefon, und ich rollte mit den Augen, weil sie das Telefon nicht aufgelegt hatte, um mit ihm zu sprechen. Ein paar Minuten später tauchte er auf, doch nicht durch die Tür, die aus der Halle nach draußen führte, sondern um die Hausecke, sodass ich wusste, er war durch die Hintertür nach draußen gegangen. Vielleicht hatte er diese Tür gewählt, weil sie am nächsten bei dem Raum lag, wo er gearbeitet hatte, vielleicht aber auch, weil er Shelly aus dem Weg gehen wollte. Er ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und schnallte sich wortlos an.
Während der ganzen Fahrt starrte er aus dem Fenster, und ich brach das Schweigen nicht, ließ sogar das Radio aus. An unserem Ziel angekommen, brachten wir die Großmutter der Familie, so rasch es nur ging, aus dem Haus, obwohl sie in einem der Schlafzimmer im ersten Stock gestorben war und die Türöffnung so eng war, dass unsere Bahre nicht hindurchpasste. Genauer gesagt, war die Großmutter allein schon fast zu breit für die Tür, eine Schwierigkeit, die Jared und mich einige Minuten vorsichtigen Herumprobierens kostete, bei denen unser Schweiß in Strömen lief. Tote Körper zu bewegen ist eine Tätigkeit, für die sich am ehesten ein Trainingsanzug eignet, doch wir besuchten ein Trauerhaus niemals in einer weniger formellen Kleidung als einem Anzug oder Kostüm. Diese Form des Respekts schuldeten wir den Trauernden, auch wenn dadurch unsere Arbeit sehr viel schwieriger wurde.
Jared brachte die Tote zum Van, während ich kurz mit der Familie sprach, die damit einverstanden war, später am Tag zu uns ins Beerdigungsinstitut zu kommen, um die Einzelheiten der Beerdigung zu besprechen. Ich sprach mein Beileid aus und traf draußen Jared bereits hinter dem Steuer des Vans an.
„Jared.“
Seine Schultern sanken ein wenig nach vorn. Er zog den Wagenschlüssel aus der Hosentasche und steckte ihn ins Zündschloss. „Ja.“
Die Situation zwischen ihm und Shelly ging mich nichts an, solange sie sich nicht auf mein Geschäft auswirkte, und bis jetzt fand ich nicht, dass Jareds Verhalten das tat. Er war höflich und freundlich zu der Familie gewesen und mir gegenüber kollegial und hilfsbereit. Dennoch war Jared zweifellos nicht er selber.
Unsere Fahrt zurück in die Firma war nicht sonderlich lang, aber ich wollte mit ihm über die Sache reden, bevor wir dort ankamen. Unterhaltungen im Auto haben etwas an sich, das es leichter macht, bestimmte Dinge auszusprechen. Da er sich auf den Verkehr konzentrieren musste, konnte er es vermeiden, mich anzusehen.
Ich stellte ihm dieselbe Frage, die ich bereits Shelly gestellt hatte. „Möchtest du darüber reden?“
„Ich glaube, du und Shelly habt schon genug darüber gesprochen.“ Er blinkte, doch der Verkehr in beide Richtungen war zu dicht, um in die Hauptstraße einzubiegen.
Ich hatte mir also nicht nur eingebildet, dass er auch mir aus dem Weg ging. „Sie war völlig durcheinander. Ich habe sie gefragt, was los ist. Sieh mal, ihr Kinder …“
„Ich bin kein Kind, Grace. Genauso wenig wie sie.“
Ich hatte ihn nur necken wollen. Sie waren beide nur wenige Jahre jünger als ich. „Das weiß ich.“
Jared klopfte mit seinen Fingern einen raschen Takt auf das Lenkrad und starrte nach vorn, während ich sein Profil anstarrte. Es war nicht schwierig für mich, zu erkennen, warum Shelly ihn so mochte. Er hatte ein interessantes Gesicht, nicht
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