Callboys - Die Schönen der Nacht
Anstrengungen nicht weniger edel waren, nur weil ich niemanden als mich selbst opfern konnte, weil niemand auf mich verzichtete und auf mich wartete, während ich all meine Zeit hier verbrachte.
„Du funkelst ja heute so.“ Meine Schwester Hannah zog eine Augenbraue hoch.
Ich schnippte mit dem Finger gegen eines meiner Ohrgehänge, bis das winzige Glöckchen klingelte. Die Ohrringe passten zu der Tunika im Indianerstil, die ich bei einer Online-Auktion erstanden hatte. Der leuchtend türkisfarbene Stoff mit der komplizierten Perlenstickerei konnte durchaus als funkelnd bezeichnet werden.
„Danke. Habe ich von eBay.“
„Ich meine nicht die Ohrringe. Sie sind hübsch. Das Shirt ist ein bisschen …“ Hannah zuckte mit den Schultern.
„Was?“ Ich schaute an mir herunter. Der Stoff war durchscheinend, deshalb hatte ich darunter ein ärmelloses Top angezogen, um nicht allzu viel zu enthüllen. Kombiniert mit einer schwarzen Hose mit ausgestellten Beinen, hatte ich meine Kleidung nicht für besonders auffallend gehalten, zumal ich über der Tunika eine passende schwarze Jacke trug.
„Ungewöhnlich“, beendete Hannah ihren Satz. „Aber auch hübsch.“
Ich musterte Hannahs prüdes Rollkragen-Shirt und die dazu passende Strickjacke. Ihr fehlte nur noch eine einreihige Perlenkette und ein Hütchen mit einem Schleier, um wie eine Matrone aus den Fünfzigerjahren auszusehen. Dieses Outfit war besser als das mit Zeichentrickfiguren bedruckte Sweatshirt, das sie getragen hatte, als wir das letzte Mal zusammen essen gegangen waren, aber nicht sehr viel besser.
„Ich mag dieses Shirt.“ Ich hasste die Verteidigungsposition, in die ich mich unweigerlich begab, nachdem meine Schwester die Knöpfe gedrückt hatte, die sie nur zu genau kannte. „Es ist … frech.“
„Das ist es zweifellos.“ Hannah schnitt ihre Salatblätter in präzise, erstaunlich symmetrische Stücke. „Ich habe gesagt, es sei hübsch, nicht wahr?“
„Das hast du.“ Sie sagte „hübsch“ auf dieselbe Weise, wie andere Leute „bedauernswert“ sagten.
„Wie auch immer. Das ist nicht das, was ich meinte.“ Hannah sprach mit vollem Mund und sezierte mich dabei mit ihrem Blick. „Hattest du … ein Date? Gestern Abend?“
Bei der Erinnerung daran, wie Sams Hand vor ein paar Tagen zwischen meinen Beinen gelegen hatte, konnte ich ein Lächeln nicht unterdrücken. „Nicht gestern Abend, nein.“
Hannah schüttelte den Kopf. „Gracie …“
Ich hob die Hand. „Lass es.“
„Ich bin deine große Schwester. Ich darf dir Ratschläge geben.“
Nun war es an mir, die Augenbrauen hochzuziehen. „Hm … steht das in dem Handbuch, das irgendjemand mir zu geben vergessen hat, oder was?“
Hannah lachte nicht. „Im Ernst, Grace. Wann werden wir diesen Mann kennenlernen? Mom und Dad glauben nicht, dass er existiert.“
„Möglicherweise verbringen Mom und Dad zu viel Zeit damit, sich Gedanken über mein Liebesleben zu machen, Hannah.“
Je mehr ich abstritt, einen Freund zu haben, umso überzeugter schien meine Familie zu sein, dass ich einen vor ihr versteckte. Die meiste Zeit fand ich das lustig. Heute war ich aus irgendeinem Grund nicht sonderlich amüsiert.
Ich stand auf, um meinen Kaffeebecher neu zu füllen, und hoffte, dass meine Schwester beschlossen haben würde, das Thema ruhen zu lassen, wenn ich an den Tisch zurückkam. Ich hätte es besser wissen müssen. Hannah auf einer Mission zeigte in etwa dasselbe Verhalten wie ein Terrier angesichts einer Ratte. Wahrscheinlich schaltete sie nur deshalb nicht in den Wortschwall-Modus, weil wir uns in der Öffentlichkeit befanden.
„Ich möchte nur das Geheimnis erfahren. Das ist alles.“ Hannah fixierte mich mit jenem Blick, der mir früher jedes Geheimnis hatte entreißen können.
Er war noch immer ziemlich wirkungsvoll, aber ich hatte inzwischen viele Jahre Übung darin, Widerstand zu leisten. „Es gibt kein Geheimnis. Ich habe dir doch schon so oft gesagt, dass es keine ernste Sache gibt, niemanden, den ich regelmäßig sehe.“
„Wenn es ernsthaft genug ist, dich so aussehen zu lassen“, stellte Hannah mit einem Schnauben fest, „sollte es auch ernsthaft genug sein, um ihn deiner Familie vorzustellen.“
Dieser dezente Hinweis auf Sex erstaunte mich so, dass ich nicht anders konnte, als sie verwundert anzustarren. Meine Schwester, älter und mit der Neigung zur Besserwisserei, hatte mit mir niemals über körperliche Liebe gesprochen. Andere Mädchen waren zu ihren
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