Callboys - Die Schönen der Nacht
wechselte Hannah das Thema, und ich war froh, die hochnotpeinliche Situation überstanden zu haben. Als wir uns später voneinander verabschiedeten, war das übliche schwesterliche Gleichgewicht fast wiederhergestellt.
Ich sage „fast“, weil diese Unterhaltung mich während des restlichen Tages nicht mehr losließ. Sie hatte einen bitteren Geschmack auf meiner Zunge hinterlassen. Sie machte mich tollpatschig und vergesslich, und selbst als ich einen beruflichen Termin hatte, konnte ich sie nicht beiseiteschieben.
„Was kann ich für Sie tun, Mr. Stewart?“ Ich faltete meine Hände auf dem Schreibtisch, den bereits mein Vater benutzt hatte und vor ihm sein Vater. Zu meiner Linken lag ein linierter Schreibblock, zu meiner Rechten ein Füllfederhalter. Im Moment lagen meine gefalteten Hände zwischen Papier und Stift.
„Es geht um meinen Vater.“
Ich nickte und wartete.
Dan Stewart hatte regelmäßige Gesichtszüge und sandfarbenes Haar. Er trug einen Anzug und eine Krawatte, die für den Anlass zu elegant waren. Wahrscheinlich kam er direkt von der Arbeit. Sein Outfit war auch zu elegant für einen normalen Bürojob, was bedeutete, dass er entweder ein hohes Tier in irgendeiner Firma oder Anwalt war.
„Er hatte einen weiteren Schlaganfall. Er … stirbt.“
„Es tut mir leid, das zu hören.“ Zwar glaube ich nicht an die himmlischen Heerscharen, aber ich habe Verständnis für Trauer.
Mr. Stewart nickte. „Danke.“
Manchmal brauchten die Menschen, die mir auf der anderen Seite des Schreibtischs gegenübersaßen, einen kleinen Anstoß, doch Mr. Stewart fuhr nach einem kurzen Augenblick fort.
„Meine Mutter möchte sich nicht damit befassen. Sie ist überzeugt, dass er es auch dieses Mal wieder schafft.“
„Aber Sie möchten Vorkehrungen treffen?“ Ich griff noch nicht nach dem Füller, sondern ließ meine Hände gefaltet.
„Ja. Mein Dad war immer ein Mann, der genau weiß, was er will. Meine Mutter …“ Mr. Stewart lachte und zuckte die Achseln. „Sie tut, was mein Dad will. Ich befürchte, wenn das hier nicht im Voraus geklärt wird, hat sie nach seinem Tod keine Ahnung, was sie tun soll, und es gibt ein riesiges Durcheinander.“
„Möchten Sie mit der Planung jetzt beginnen? Sie selber?“ Es konnte heikel sein, die Beerdigung ohne den Partner des Verstorbenen zu planen.
Er schüttelte den Kopf. „Ich möchte nur einen Anfang machen. Vielleicht kann ich einige Unterlagen mit nach Hause nehmen und mit meiner Mutter über die verschiedenen Möglichkeiten sprechen. Mich mit meinem Bruder darüber unterhalten. Ich möchte nur …“ Er hielt inne, nachdem seine Stimme während der letzten Worte immer leiser geworden war, und ich begriff, dass es bei diesem Schritt mehr um ihn als um die anderen Trauernden ging. „Ich will einfach nur vorbereitet sein.“
Ich öffnete meine Schreibtischschublade und zog das Päckchen mit den Vorsorgeunterlagen hervor. Als ich die Firma übernommen hatte, hatte ich es als eine meiner ersten Handlungen selbst zusammengestellt. Gedruckt auf elfenbeinfarbenem Papier und verpackt in eine schlichte dunkelblaue Faltmappe, enthielt das Päckchen Checklisten, Vorschläge und Beschreibungen der unterschiedlichen Möglichkeiten, was den Trauernden die Angelegenheit so leicht wie möglich machen sollte.
„Ich verstehe, Mr. Stewart. Sich vorzubereiten kann durchaus tröstlich sein.“
Sein Lächeln machte innerhalb kürzester Zeit aus seinem nichtssagenden Gesicht ein umwerfend attraktives. „Mein Bruder würde sagen, ich sei pingelig. Und nennen Sie mich bitte Dan.“
„Das würde ich niemals behaupten“, erklärte ich und lächelte nun ebenfalls. „Eine Beisetzung zu planen kann sehr anstrengend und aufreibend sein. Je mehr Dinge man vorher erledigt, umso mehr Zeit hat man hinterher, sich um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern, wenn man mit dem Verlust fertig werden muss.“
Dans Lächeln war ein wenig schief, er zog an einer Seite den Mundwinkel höher als an der anderen. „Gibt es viele Leute, die Beerdigungen im Voraus planen?“
„Sie wären überrascht.“ Ich deutete auf die Aktenordner an der Wand. „Viele meiner Kunden haben wenigstens irgendetwas geplant, und sei es die Art der Trauerfeier.“
„Aha.“ Er schaute an mir vorbei auf die Reihe der Akten, dann trafen sich unsere Blicke wieder. Die Intensität, mit der er mich anstarrte, hätte mich beunruhigt, wäre sein Lächeln nicht so freundlich gewesen. „Haben Sie viele jüdische
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