Callboys - Die Schönen der Nacht
keine Todesnachricht bekam.
Sam sah übel aus und roch noch übler. Dunkle Ringe umschatteten seine Augen, und er schien sich ein paar Tage nicht rasiert zu haben. Seine Haare waren verfilzt und zerzaust, aber nicht auf die sexy Art, als sei er gerade aus dem Bett gefallen, die mir so gut gefiel. Ich durfte ihn mitnehmen, nachdem ich durch eine Unterschrift praktisch mein ganzes Leben und das meiner ungeborenen Kinder ruiniert hatte, falls irgendetwas schiefging.
Im Auto saß er still und in sich zusammengesunken auf seinem Sitz, die Arme verschränkt und den Hemdkragen hochgeschlagen.
„Soll ich die Heizung höher stellen?“
Er schüttelte den Kopf. Ein paar Meilen weiter bat er mich, rechts ranzufahren, und stieg aus dem Wagen, um sich am Straßenrand zu übergeben. Seine Würgegeräusche sorgten dafür, dass mir ebenfalls übel wurde, und ich stieg nicht aus, um ihm zu helfen.
Ich nahm ihn nicht mit zu mir, sondern fuhr ihn zu seiner Mutter. Das dunkle Haus sah nicht aus, als sei jemand daheim, und mir fiel ein, dass Dotty Stewart mit ihrer Schwester eine Kreuzfahrt machte.
Er bat mich nicht, mit hineinzukommen, sondern stolperte einfach nur aus meinem Auto und ins Haus hinein, aber ich folgte ihm. Er ging sofort nach oben und unter die Dusche. Als er wieder hinunter in die Küche kam, hatte ich Kaffee gekocht. Vor allem für mich selbst, aber er nahm auch welchen und nippte so vorsichtig daran, als hätte er Angst, der Kaffee könnte ihm wieder hochkommen, wenn er zu schnell trank.
„Sie haben mich auf dem Weg zum Firehouse angehalten“, erzählte er mir, obwohl ich nicht gefragt hatte. „Sie machten mit mir einen Alkoholtest – die Sache mit den Gleichgewichtsübungen und so weiter –, den ich übrigens bestand.“
Er stützte sein Gesicht in die Hände, wobei seine Handballen wie Kissen unter seinen Augen lagen. „Anschließend ließen sie mich in ein Teströhrchen pusten. Den Test schaffte ich nicht.“
Ich klammerte mich an der Tischkante fest, um nicht in die tiefe Schlucht zu stürzen, die sich plötzlich zwischen uns aufgetan hatte. „Warum, Sam?“
Sams Lachen tat mir in den Ohren weh. „Weil ich betrunken war.“
„Das meinte ich nicht.“
Er schaute auf, direkt in meine Augen. „Weil …“
„Du konntest nicht einfach mit mir reden?“ Meine Stimme brach. Ich war aufgesprungen, ohne es überhaupt zu bemerken, aber ich hielt mich immer noch am Tisch fest.
Weder nickte er, noch schüttelte er den Kopf. Er sah einfach nur weg. „Ich habe mein Apartment in New York verloren, weil ich die Miete nicht bezahlen konnte. Ich musste meinen Dad um Geld bitten. Er sagte mir, ich solle nach Hause kommen, wenn es nötig sei. Ich kam nicht nach Hause, bevor er im Sterben lag. Ich kam erst, als es zu spät war.“
Ich legte meine Hand auf seine Schulter, und er zuckte nicht zurück. Unter meinen Fingern spürte ich seine harten, scharfen Knochen. Seine Haarspitzen streiften meinen Handrücken.
„Du kannst dir nicht die Schuld geben.“
Er sah mit einem jämmerlichen Lächeln zu mir auf. „Doch, das kann ich.“
Ich sagte seinen Namen, als würde ich einen Glücksbringer beschwören, doch dieses Mal funktionierte es nicht. Sam stand vom Tisch auf und goss seinen Kaffee ins Spülbecken. Seine Schultern sackten nach vorn, als er sich, von mir abgewandt, auf den Küchentresen stützte.
„Ich habe Scheiße gebaut. Es ist mir nie gelungen, ihm zu zeigen, dass ich es schaffen kann, Grace. Ich habe ihm nie gesagt, wie leid es mir tut, dass ich ihn enttäuscht habe. Nichts.“
Von einigen Dingen, die er wegen seines Dads bedauerte, hatte ich gewusst, aber nicht, wie tief sein Leid war oder wie er versucht hatte, es zu lindern. „Vielleicht solltest du mit jemandem darüber reden.“
Sams Lachen brach abrupt in der Mitte ab. „Warum? Davon kommt er nicht zurück.“
„Vielleicht fühlst du dich davon besser als vom Trinken.“
„Und ich werde dann nicht ins Gefängnis geworfen, richtig?“ Er wandte sich mir zu. „Es würde mich davon abhalten, noch mehr Scheiße zu bauen, richtig?“
Darauf antwortete ich nicht. Ich wollte nicht wieder mit ihm streiten. „Ich weiß, wie schwer das alles für dich sein muss.“
„Richtig. Weil du die ganze Zeit damit zu tun hast? Weil es dein Job ist, Leuten zu helfen, sich besser zu fühlen, wenn sie mit dem Tod umgehen müssen?“
„Weil du mir wichtig bist, Sam.“
Er schüttelte den Kopf. „Ich kann das jetzt nicht mehr. Fahr nach
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