Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Callgirl

Callgirl

Titel: Callgirl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Angell
Vom Netzwerk:
»Freund«, der gestorben war, und von den Albträumen, die mich in der vergangenen Nacht gequält hatten, von hellen und düsteren Bildern des Todes. Daraus entwickelte sich eine Diskussion über ein Thema, das ich eigentlich später behandeln wollte, aber jetzt vorzog, nämlich über das Thema Tod und Kunst. Ich halte das für ein sehr wichtiges Thema, weil ein Großteil der künstlerischen Kreativität aus dem Unterbewusstsein kommt und die Vorstellung vom Tod so untrennbar mit der des Lebens verbunden ist. Auf dieser Grundlage erörterten wir dann die Arbeit von Goya, Dali und Bosch.
    Während ich die eifrige Beteiligung der Studenten beobachtete, fragte ich mich, wie Bill Francis wohl zu Mute gewesen wäre, wenn er gewusst hätte, dass eines seiner »Mädchen« andere Menschen durch sein Schicksal berührt hatte. Ich stelle mir gern vor, dass er sich gefreut hätte.

Kapitel 18
    Im Mai, als die Kurse sich ganz langsam auf die Abschlussprüfungen und die Befreiung durch die Sommerferien zubewegten, wurde es immer schwieriger, die Aufmerksamkeit der Studenten auf die anstehenden Themen zu lenken. Genau genommen wurde es immer schwieriger, die Studenten überhaupt noch in den Unterricht zu locken. Nach meiner Erfahrung liegt das College weit abgeschlagen hinter den Urlaubsplänen für den Sommer und den sportlichen Aktivitäten im Frühling.
    Vielleicht werde ich eines Tages als Lehrerin nach China gehen. Henry hat mir erzählt, dass die Studenten dort ihren Professoren mit großem Respekt begegnen, sich geehrt fühlen, weil sie in ihre Kurse kommen dürfen, und sich den Hintern für sie wund arbeiten. Aber ich warte noch ein bisschen damit.
    Im »Anstaltsleben« erörterten wir den Einsatz von Mitteln, die die Freiheit der Patienten einschränken. Im 19. Jahrhundert fesselte man sie einfach mit Riemen oder Handschellen an unbewegliche Gegenstände wie Stühle, Säulen oder Wände. »Was lernen wir daraus?«, fragte ein älterer Student ebenso rhetorisch wie sarkastisch. »Heute benutzen wir chemische Fesseln. Wir pumpen sie mit Medikamenten voll, bis sie wie Zombies durch die Gegend laufen.«
    »Genau«, bestätigte ein anderer. »Wie in dem Song – ›mirrors on the ceiling, pink champagne on ice‹.«
    »Entschuldigung«, ich war überrascht, dass ein Student auf einen Song anspielte, der eher zu meiner Generation als zu seiner
gehörte und ihn dann auch noch ganz anders deutete, als ich es immer getan hatte. »Wovon reden Sie?«
    »Das ist ein Song von den Eagles«, erklärte er geduldig.
    »Ich weiß , dass das ein Song von den Eagles ist«, erwiderte ich. »Aber ich dachte immer, es ginge um den Konsum von Drogen.«
    »Klar, und dies sind eben Drogen, die man legal und auf Rezept bekommt«, bestätigte der Student. »Wissen Sie, ich habe als Pflegehelfer auf einer Psychiatriestation für Kinder und Jugendliche gearbeitet. In allen Zimmern gab es Spiegel in den Ecken und an der Decke, damit das Pflegepersonal auf den Kontrollgängen sehen konnte, was die Kids gerade trieben. Und eines der Medikamente, das sie benutzten … ich hab vergessen, wie es hieß … die Spritze musste gekühlt werden, und das Zeugs, das man spritzt, ist rosa. Also denke ich mir, dass Hotel California eine psychiatrische Klinik war.«
    Das war ein neuer, faszinierender Blickwinkel auf den Neo-Klassiker. »Sie haben also tatsächlich in einer modernen Anstalt, einer psychiatrischen Station gearbeitet. Können Sie uns etwas von den Erfahrungen berichten, die Sie dort mit dem Einsatz von so genannten Fixierungen gemacht haben?«, ermunterte ich ihn.
    Er sah sich im Kreis seiner Kommilitonen um und wirkte zum ersten Mal etwas befangen. »Nun, ich weiß, es klingt grausam, aber manchmal schien es einfach vernünftig.«
    Ein missbilligendes Raunen ging durch den Raum, eine unausgesprochene Kritik an seinen Worten. »Wann zum Beispiel?«, fragte ich behutsam.
    »Wissen Sie, Dr. Angell, es waren eben Kids. Und Kids geraten manchmal außer Kontrolle. Auf eine Weise, die einem Angst machen kann. Und sie erreichen einen Punkt, an dem sie jemanden brauchen, der die Kontrolle übernimmt. Einige haben sich sofort beruhigt, wenn man sie festschnallte.«
    »Klar«, murmelte jemand. »Das ist der Vorteil von faschistischen Methoden.«

    Er ließ sich nicht beirren. »Damit hat das gar nichts zu tun. Sie fühlten sich dadurch sicher. Sie wussten, dass wir sie vor den Furcht erregenden Fantasien, die sich in ihren Köpfen abspielten, beschützen

Weitere Kostenlose Bücher