Callgirl
servieren und hinterher abwaschen. Als ich erwähnte, dass ich in absehbarer Zeit gehen wollte, empörte er sich: »Wieso hetzt du so? Du bist nur hinter dem Geld her. Ich brauche dich hier bei mir. Du musst mich halten und mir Kraft geben, damit ich der Welt wieder entgegentreten kann.«
Genug ist genug, könnte man jetzt denken. Pack deine Siebensachen und geh nach Hause. Und es wäre eine großartige Idee. Außer dass Abe mich immer noch nicht bezahlt hatte und dies offenbar auch erst zu tun gedachte, nachdem er mich vollständig ausgesaugt hatte.
Ich gab mich geschlagen und holte einige CDs heraus. Ich plauderte, ich machte sein Wohnzimmer sauber, setzte mich zu ihm aufs Bett und hörte pflichtschuldig zu, während er fröhlich zu Don Giovanni, Rigoletto und Der Barbier von Sevilla vor sich hin trällerte. Ich stellte ihm einen Lunch zusammen. Schließlich erfand ich einen Termin um ein Uhr nachmittags, den ich auf keinen Fall versäumen dürfe. Er verwandte weitere 20 Minuten darauf, nachzubohren, wo dieses Treffen stattfand (er fragte natürlich nur, weil er mir sagen wollte, wie lange ich für den Weg von seiner Wohnung zum Treffpunkt brauchen würde). Er versuchte herauszufinden, worum es bei dem Treffen ging, fragte, ob ich hinterher wiederkommen würde, beklagte sich, dass ich es verdammt eilig hätte, ihn zu verlassen, und vielleicht solle er mir doch nicht die volle Summe bezahlen.
Sobald ich konnte, machte ich, dass ich wegkam. Es war nicht leicht. Bis zum bitteren Ende zögerte er es heraus, mich zu bezahlen, bestand darauf, dass ich später zurückkommen sollte, dass er mich erst dann bezahlen würde … Ich weigerte mich, erklärte, dass ich bereits andere Pläne für den Abend gemacht hätte. Das war natürlich ein gefundenes Fressen für Abe. Jede Verzögerungstaktik war willkommen. Was für Pläne? Mit wem? Woran hatte ich Vergnügen? Er fragte natürlich nur, weil er mich so gern hatte und weil er sich ausmalen wollte, wie ich meinen Tag verbrachte …
Ich nahm die 400 Dollar und flüchtete.
Damit hörte es nicht auf. Er lud mich zu sich nach Hause zum Dinner ein (Bezahlung und außerplanmäßige Aktivitäten unklar), und ich lehnte ab. Abe mochte keine Absagen. »Du unterrichtest irgendwo«, sagte er unvermittelt.
Ich erstarrte. In meinem Magen spürte ich einen eiskalten Klumpen, der vorher nicht da gewesen war. Dies passierte nicht wirklich. »Woher weißt du das?«, fragte ich. Schon bevor ich Abe das erste Mal getroffen hatte, hatte Peach mich davor gewarnt, ihm zu viel zu erzählen. Ich hatte ihm gesagt, dass ich als freiberufliche Autorin tätig sei und von zu Hause aus arbeitete.
»Hat mir jemand erzählt.« Vielen Dank, Mädels. Ich war nicht sonderlich überrascht. Abe verstand sich darauf, anderen Leuten Informationen zu entlocken, ohne dass sie es merkten. Ich hatte ihm vermutlich auch schon Dinge gesagt, die ich gar nicht preisgeben wollte.
Aber es bedeutete ja nicht das Ende der Welt. Was konnte er mit dieser winzigen Information schon groß anfangen? Ich beschloss, die Gleichgültige zu mimen. »Ja, stimmt, ich unterrichte manchmal. Wie auch immer, tut mir Leid wegen des Abendessens, aber …«
Er fiel mir ins Wort. »Und ich weiß, dass dein richtiger Name Jen ist. Ich weiß, dass du in Allston wohnst, und den Rest kriege
ich auch noch raus. Ich erweise der Uni einen schlechten Dienst, wenn ich ihnen nicht die Wahrheit über ihren Lehrkörper mitteile. Sie würden bestimmt nicht gern hören, dass du Drogen nimmst. Sie würden auch bestimmt nicht gern hören, dass du für eine Begleitagentur arbeitest. Ich bitte dich nur um ein Abendessen, um ein einziges Abendessen. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?«
Er beherrschte seine perfide Technik ganz hervorragend. Ein hervorragender Detektiv, der Leute ausgezeichnet manipulieren konnte. Er horchte Callgirls nach ihren eigenen Geschichten und denen anderer aus, indem er so tat, als hätte er die Informationen bereits. »Tia hat mir ihren richtigen Namen verraten, weißt du. Wieso sagst du mir nicht auch, wie du heißt?«
Er rief bei Taxiunternehmen an und tauschte seinen berühmten Vorrat an Percocet (eine Pille, nach der fast immer starke Nachfrage bestand und für die Abe auf Grund einer seiner zahlreichen Erkrankungen praktisch ein Dauerrezept besaß) gegen Informationen darüber, wo und wann man die Mädchen abgesetzt hatte, nachdem sie bei ihm weggefahren waren. Er saß in seiner kleinen Wohnung wie in einer
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