Callgirl
bedeutete, da Jake und mir bereits nach fünf Minuten die Gesprächsthemen ausgegangen waren. »Alles in Ordnung?«, fragte John. »Ja, danke«, antwortete ich ein bisschen überrascht. Ich fand es nett von ihm, dass er fragte, fühlte mich fast ein bisschen getröstet. Als ob er wirklich verstand, dass es eine anstrengende Rolle, eine Show, ein Job war. Nach einer Stunde mit Jake war es genau das, was ich brauchte. Kluger Mann, dieser John.
»Versuch mal, an einem Ort wie Marblehead mitten in der Nacht Zigaretten zu kaufen«, sagte er. »So früh wie die hier die Bürgersteige hochklappen, haben die Geschäfte sowieso die meiste Zeit dicht. Da kommst du praktisch seltener rein als …«, er überlegte es sich anders und führte den Gedanken nicht weiter
aus. »Wie auch immer, Peach sagt, ich soll dich nach Hause fahren, sie ruft dich an, wenn noch was los ist.«
»Alles klar«, ich erkannte den Code. So lautete Peachs Umschreibung für: »Das war’s wahrscheinlich für heute Nacht.«
Mir war es ehrlich gesagt sehr recht. Jake besaß keine Klimaanlage, und Meeresbrisen waren während unserer kurzen Gymnastikeinlage auf seinem Bett leider nicht ins Schlafzimmer gedrungen. »Meine Frau ist bei ihrer Mutter«, erklärte er mit einem schmierigen Grinsen, während er ein Riesengetue daraus machte, ihr Foto auf der Kommode umzudrehen. »Sie soll uns ja schließlich nicht zuschauen müssen, was?« Bisschen spät, um Gefühle für sie zu zeigen, du knochenlose Qualle.
»Ich ruf sie an, wenn ich zu Hause bin«, sagte ich unverbindlich zu John. Ich war damit beschäftigt, meinen Verdienst auszurechnen, was nicht so einfach war, wie es klingt, da das Kopfrechnen noch nie zu meinen starken Seiten gehört hat. Jake hatte mir 320 Dollar gegeben: 60 für Peach, 60 für John, also blieben 200 für mich. Das bedeutete wahrscheinlich, dass Jake keinen anderen Service gefunden hatte, der bereit war, jemanden bis nach Marblehead herauszuschicken. Peach hatte vermutlich keine Mühe gehabt, den höchstmöglichen Preis zu verlangen (und zu bekommen).
Ich dachte an das Pathos, mit dem er das Foto seiner Frau umgedreht hatte, und überlegte kurz, wieso er sie so sehr hasste, dass er sie absichtlich und gezielt in den Mittelpunkt unseres Treibens gestellt hatte. Dann schob ich den Gedanken beiseite. Wenn ich anfangen wollte, über die Ehefrauen nachzudenken, hätte ich viel zu tun.
Das Geld stimmte, und John war nett gewesen. Ich steckte ihm noch 20 Dollar extra zu und fragte mich im selben Moment, ob ich jetzt völlig den Verstand verloren hatte.
In dieser Nacht kamen keine Aufträge mehr. Ich zog das Kleid, die Strümpfe, Strapse und Stöckelschuhe aus und schlüpfte
dankbar in ein Paar alter Shorts und ein Sweatshirt vom Aids-Ride und band mein Haar mit einem Gummiband zusammen. Den Rest des Abends verbrachte ich glücklich wiedervereint mit Frasier und einer großen Schüssel Jogurt-Eis auf dem Sofa, bis ich mich gegen Mitternacht abmeldete und ins Bett ging.
Am nächsten Abend fand ich heraus, wieso John die zusätzlichen 20 Dollar wert war.
Peach rief gegen sieben Uhr abends an. »Arbeit«, sagte sie kurz und geschäftsmäßig.
Ich hatte meinen Tag damit verbracht, lange auszuschlafen, ins Fitnesscenter zu gehen und meine erste Unterrichtsstunde für den neuen Kurs zu planen. Genauer gesagt, meine zweite Unterrichtsstunde. Die erste ging immer für organisatorische Sachen drauf – nach welchen Kriterien die Zensuren verteilt werden, welche Leistungen ich erwarte, welche Bücher gekauft werden müssen. Erst bei der zweiten Sitzung ging es so richtig los.
»Okay, was hast du denn für mich?«
»Mark in Chelsea.« Das löste prompt ein zufriedenes Lächeln bei mir aus. Super. Ein Stammkunde, mein Stammkunde, um genau zu sein. Das Gute bei einem Stammkunden ist, dass du keine Spielchen spielen musst … na ja, das stimmt natürlich nicht ganz. Du spielst immer Spielchen. Aber bei einem Stammkunden kennst du wenigstens die Regeln, nach denen du spielen musst. Entnervend ist immer das Unbekannte.
Mark in Chelsea war ziemlich unkompliziert. Ich konnte das ganze Programm im Kopf abspulen, es sogar auf die Minute genau vorhersagen. Wir würden exakt 15 Minuten zusammensitzen, einen wirklich grauenhaften Wein trinken (ich wette, er kam aus einer Papptüte) und die Aussicht auf die Bostoner Skyline bewundern (die zugegebenermaßen atemberaubend war). Während wir das taten, würde Mark sich über seine Arbeit beklagen: Alle hatten
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