Callgirl
eine unangenehme Stunde
damit verbracht, mein Spiegelbild in der Ankleidekabine von Cacique zu betrachten, wo ich einige Dessous gekauft hatte. Von daher traf mich dieses Verhör in einem sehr ungünstigen Moment, da ich sowieso gerade mit den Unzulänglichkeiten meiner körperlichen Erscheinung haderte. Er willigte ein, mich zu treffen, und ich rief sofort bei Peach an, um den Termin zu bestätigen. »Peach, er hat mich regelrecht verhört, wollte alles über mein Aussehen wissen. Was hatte das zu bedeuten?«
Sie tat es ab. »Ach, er hat eine schlechte Erfahrung mit einer anderen Agentur gemacht. Sie haben ihm erzählt, das Mädchen sei umwerfend, und dann hatte sie kaum Zähne im Mund oder so.«
Ich fuhr mit ziemlichem Muffensausen zu dem angegebenen Hotel, weil ich natürlich (auf Peachs Anweisung) gelogen hatte. In meinem Fall war es wirklich ein unwichtiges Detail: Ich bin gut trainiert, aber die Wahrheit ist, dass Muskeln mehr wiegen als Fett. Deshalb wog ich weit mehr, als mein Aussehen vermuten ließ, und erzählte den Kunden immer, was sie hören wollten. Kein Kunde, dem ich mein wahres Gewicht am Telefon genannt hätte, wäre bereit gewesen, sich mit mir zu treffen. Aber wenn ich dann bei ihnen war, hat sich nie einer beschwert.
Am Ende entpuppte sich dieser Kunde als einer der besten überhaupt. Er war nett, ein völlig anderer Mensch als am Telefon. Wir haben viel gelacht und hatten eine Menge Spaß miteinander. Er wurde einer meiner Stammkunden, was vor allem den Vorteil hatte, dass er mich nie wieder so einem schrecklichen Telefonverhör unterzog.
Dennoch spielt das Thema Lügen bei Escort-Agenturen eine große Rolle.
Nach dieser Episode sprach ich mit Peach darüber. »Warum macht die Agentur falsche Angaben zu einem Mädchen? Der Schwindel fliegt doch auf, sobald sie durch die Tür kommt.«
Wir saßen in einer Ecke bei Legal Seafoods, und Peach interessierte
sich mehr für die Speisekarte als für eine Unterhaltung. »Na ja, eine unverfrorene Lüge, so was Dummes macht man natürlich nicht. Kein Kunde ruft wieder an, wenn er denkt, dass du ihn reinlegen willst.«
Ich hatte bereits entschieden, was ich bestellen wollte, nämlich das Gleiche, was ich jedes Mal bestellte, wenn ich bei Legals war: Muscheln in duftender Meeresfrüchte-Soße. »Also …?«
»Seien wir ehrlich – wir lügen alle. Du weißt, dass der Kunde dich sehen will, sobald er dich sieht , stimmt’s? Aber du weißt auch, dass das nicht so wäre, wenn du ihm dein wahres Gewicht oder, wo wir gerade dabei sind, dein wahres Alter verraten würdest. Also lügst du. Tut niemandem weh. Er bekommt, was er will. Du bekommst, was du willst.« Sie klappte die Speisekarte zu. »Muscheln in duftender Meeresfrüchte-Soße«, teilte sie dem Kellner mit.
»Für mich das Gleiche, bitte«, sagte ich und wartete, bis der Kellner sich wieder entfernt hatte. »Aber für unseren Ruf ist es nicht besonders förderlich.«
Peach sah mich stirnrunzelnd an. Sie hasste es, übers Geschäft zu reden. Merkwürdigerweise (in Anbetracht ihrer Berufswahl) sprach sie nur über Sex, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ. »Männer sind Schafe«, sagte sie. »Sie lassen sich von den Medien, von der Pornoindustrie und den Werbeagenturen vorschreiben, was sie wollen. Sie wissen im Grunde gar nicht, wonach sie suchen. Sie glauben , sie wollen Pamela Anderson. Sie glauben auch, sie würden ihre Maße und ihr Gewicht kennen, aber ich garantiere dir, dass sie sich in beiden Punkten irren. Männer haben wenig Fantasie, wenn es darum geht, was sie sexuell attraktiv finden: Ihnen gefällt, was man ihnen als attraktiv suggeriert, und sie gehen davon aus, dass das der einzige Weg ins sexuelle Nirwana ist.«
Deshalb log Peach. Sie erzählte dem Kunden, was er hören wollte. Sie wusste, dass ihre Mädchen gut waren, dass sie den
Kunden auf jeden Fall zufrieden stellen würden. Aber er würde das nicht glauben, wenn ihre Beschreibung des Callgirls zu stark von Pamela Anderson abwich. Also log sie dem Kunden etwas vor, der Kunde fand die Frau fantastisch, und alle waren glücklich.
Lenin hat irgendwo gesagt, dass eine Lüge, die man oft genug wiederholt, schließlich zur Wahrheit wird. Wir alle erfinden uns selbst immer wieder neu, jeden Tag.
Peachs oben erwähnte Latenight-Salons fanden in ihrer Wohnung statt, nachdem sie die Telefone für den Rest der Nacht abgestellt hatte. Bei diesen Treffen kam eine ausgewählte Gruppe zusammen, um gemeinsam zu trinken, Kokain
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