Calling Crystal
den Rand der Maske. Sein Gesicht spiegelte etwas, was ich noch nie zuvor an ihm gesehen hatte, etwas unglaublich Zärtliches. Ich bemerkte, wie ich in seinen dunklen Augen versank, und nahm keine Notiz von Steve Hughes, der gerade eben an uns vorbeigerauscht war.
Steve wer?
»Schnitt!« James kauerte zusammen mit seinem Star vor dem Monitor, sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und diskutierten über die Szene. »Schön, meine Damen und Herren, die Männer in Schwarz – Sie erscheinen bitte ein paar Sekunden früher. Gerade haben Sie sich noch in Steves Weg befunden und ich möchte, dass Sie weg sind, bevor er den zweiten Säulengang erreicht. Frau in Weiß – ausgezeichnet, genau so weitermachen. Liebespaar – das war süß, aber ich will Leidenschaft. Küss das Mädchen, um Himmels willen. Mensch, du hast da eine bildschöne Frau im Arm und ich habe dir die perfekte Ausrede geliefert, sie küssen zu dürfen. Worauf wartest du also noch?« Die Komparsen lachten, als Xav ihm mit belämmertem Gesicht zuwinkte als Zeichen, dass er kapiert hatte. »Dann alles noch mal von Anfang an. Auf eure Positionen!«
Mein Herz hämmerte wie wild; ich konnte es hörenund befürchtete, Xav ebenso. Hätte ich doch bloß daran gedacht, nach meiner letzten Tasse Kaffee ein Minzbonbon zu lutschen. Ich hatte plötzlich das Gefühl, nur aus ungelenken Gliedmaßen und einem Flugzeugträger-Mund zu bestehen; ich war mir sicher, dass ich diesen Moment der Intimität total vermasseln würde, indem ich mit seiner Nase zusammenstieß oder im falschen Augenblick einen Kicheranfall bekäme.
Anscheinend spürte Xav meine Anspannung. »Hey, das kriegen wir schon hin.« Er strich mir sanft über den Rücken. »Das ist doch nur geschauspielert. Und er hat recht. Du siehst fantastisch aus. Eine Prinzessin. Schon seit Tagen will ich dich küssen.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, brüllte der Regisseur: »Und Action!«
Ich schwor mir, Xav diesmal zu widerstehen und auf Steve Hughes zu achten, wenn er an uns vorbeikäme, aber dann berührte Xavs Mund meine Lippen und alle Vorsätze waren dahin. Sein Kuss war unglaublich weich und zärtlich. Ein Kribbeln lief von meinen Lippen den Rücken hinab, strahlte in jede Faser meines Körpers aus. Eine Hand stützte meinen Kopf, sodass er sich genau in der richtigen Position befand, um den Kuss zu vertiefen; forschende Lippen, die über die Wölbung meines Kinns strichen und seitlich an meinem Hals entlang. Ich schwebte derart auf Wolke sieben, dass ich nicht mal hörte, wie James »Schnitt!« rief. Xav hob den Kopf; ich machte einen Schritt rückwärts und stellte fest, dass wir umringt waren von ein paar höchst amüsiert dreinblickenden Technikern.
James räusperte sich. »Okay, Leute. Ich freue mich, dass sich ein paar von euch meine Anweisungen echt zu Herzen genommen haben. Gut gemacht, Liebespaar, das kam sehr … ähm … überzeugend rüber. Und jetzt das Ganze noch mal von oben.«
Ich legte eine Hand auf Xavs Arm. Er zitterte und ich fühlte mich auch ziemlich wacklig auf den Beinen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, dass ich nicht als Einzige aus dem Konzept gebracht worden war: Es wäre wahnsinnig peinlich gewesen, wenn er diesen Moment mit einem Achselzucken abgetan hätte.
»Das war …« Ich brach mitten im Satz ab, mir fehlten die Worte.
»Das war der unglaublichste Kuss, den ich je erlebt habe.« Er berührte mein Schlüsselbein mit einer Fingerspitze und spielte mit der herausgelösten Haarlocke herum. »Danke.«
Ich blickte auf meine Hand hinunter. »Das war mein allererster Kuss. Mein erster richtiger, meine ich.« Allmählich wurde ich traurig, dass alles nur geschauspielert gewesen war.
Xav seufzte. »Bei solchen Küssen wünschte ich, das hier wäre das Universum, in dem du mein Seelenspiegel bist.« Er legte seine Stirn an meine.
»Mir geht’s genauso«, hauchte ich, als seine Lippen auf meine trafen.
Kapitel 6
Wie schaffte man es, im Umgang mit jemandem wieder zur Normalität zurückzukehren, wenn man noch immer vom wundervollsten Kuss aller Zeiten total von der Rolle war? Für die Szene waren zehn Takes nötig gewesen und keine der Umarmungen hatte sich wie Routine angefühlt. Am Ende war ich ein einziges Wrack und ich glaube, Xav ging es nicht viel besser. Natürlich wussten wir, dass wir beide irgendwo auf der Welt einen Seelenspiegel hatten; ich hatte erwartet, derartig intensive Emotionen bloß mit meinem Gegenstück zu erleben. Es war zutiefst verstörend
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