Calling Crystal
von Leuten in normalen Klamotten. »Tragen alle Komparsen so was?«
Ich bekam einen trockenen Mund, als mir klar wurde, dass er mit mir sprach. »Äh …«
»Steve, das ist Crystal.« Joe warf sich zwischen uns und stahl mir so meinen großen Moment. »Sie hat beim Anfertigen der Kostüme geholfen.«
»Das ist toll. Und du siehst toll aus, Schätzchen.« Steves Aufmerksamkeit ging bereits wieder auf Wanderschaft. »Wo ist James?«
Eine Regieassistentin fasste ihn am Arm und führte ihn fort, während sie ihm erklärte, welche Szene gleich gedreht werden sollte.
Joe grinste, als er mein verdattertes Gesicht sah. »Vergiss nicht zu atmen, Crystal. Am Ende verliere ich noch meinen Job, weil ich deine Korsettschnüre durchschneiden muss.«
Ich knetete meine Hände. »Er ist … umwerfend.«
Joe steckte seine Kamera zurück in die Schutzhülle. »Ja, für einen Schauspieler ist er wirklich ganz nett. Erinnert sich immer an die Namen, das spricht sehr für ihn.«
Wie in Trance ging ich zu dem Zelt, in dem der Wartebereich für die Komparsen war und in dem ein Tisch mit Snacks und Getränken stand, von dem wir uns bedienen durften. Xav stürzte sich auf mich, als ich eintrat.
»Wo warst du?«, fragte er. »Ich hab schon Angst gehabt, dass du’s dir mit dieser Sache hier anders überlegt hast.«
»Nein, nein, nichts dergleichen: Ich habe gerade Steve Hughes kennengelernt.«
Eine andere Komparsin hatte meine Bemerkung gehört: »Oh du Glückliche! Wie ist er denn so?«
Ich tat so, als würden mir die Sinne schwinden. »Er ist atemberaubend.«
Xavs machte ein missmutiges Gesicht. »Ich habe gehört, dass er sehr klein ist.«
»Er ist durchschnittlich groß, aber das spielt gar keine Rolle; er ist einfach perfekt.« Ich setzte mich auf eine Bank, ganz vorsichtig wegen meines Kostüms. »Beachte mich nicht weiter … Ich will nur noch kurz in diesem Moment schwelgen.« Ich machte eine wegscheuchende Bewegung in Xavs Richtung. Er stampfte zur anderen Seite des Zelts hinüber, wo ein paar Komparsen gerade Karten spielten. Er war doch nicht etwa eifersüchtig, oder? Und wenn, dann würde ihm das nur guttun, denn normalerweise war er derjenige, für den die Mädchen schwärmten.
Die Dreharbeiten begannen am späten Nachmittag mit der einsetzenden Dämmerung. Der Regisseur trommelte die Komparsen für ein kurzes Briefing zusammen.
»Okay, meine Damen und Herren.« Ein Übersetzer übertrug seine Worte vom Englischen ins Italienische. »Es ist Karneval. Stellen Sie sich bitte Folgendes vor: Sie haben die ganze Nacht lang ausgelassen gefeiert und jetzt ist es kurz vorm Morgengrauen, die dunkelste und unheimlichste Zeit, wenn die Emotionen auf dem Höhepunkt sind. Sie sind weniger Individuen als vielmehr Symbole dafür, was der Karneval für Venedig bedeutet. Ich werde Sie in Gruppen aufteilen. Grün und Schwarz – das Pärchen hier –, Sie sind die Wut. Ich möchte, dass Sie sich da drüben neben die Säule stellen und so tun, als hätten Sie einen Riesenstreit.Wedeln Sie wie wild mit den Armen und machen Sie drohende Gesten – Sie sind Italiener, also brauche ich Ihnen nicht zu erklären, wie expressive Körpersprache aussieht.«
Die italienischen Komparsen lachten.
»Die Männer mit den schwarzen Umhängen und den Pestarztmasken – Sie streifen ruhelos umher, auf der Suche nach Beute, wie eine Gang, die auf Ärger aus ist. Wo Sie auftauchen, gibt’s ordentlich Trouble. Die Mädels in Silber und Blau – ihr setzt euch auf die Stühle und Bänke da drüben, denn ihr wollt die Aufmerksamkeit der Kerle erregen. Ihr seid die Verführung. Die Dame in Weiß – Sie sind die Einsamkeit. Ich möchte, dass Sie umhergehen, mit tragischer Miene, so als würden Sie sich jeden Moment von der Brücke werfen. Rot und Gold – Sie sind das Liebespaar. Ich will, dass Sie auf den Stufen stehen und Zärtlichkeiten austauschen, okay?«
Wie bitte?! Ich blickte zu Xav hinüber. Er machte ein genauso entsetztes Gesicht wie ich.
»Rot und Gold – o, das bist ja du, Crystal.« Der Ton in James’ Stimme wurde weicher, weniger geschäftsmäßig. »Das kriegst du doch hin, oder?«
Hinter mir erhob sich Gemurmel; offenbar waren die anderen Komparsen beeindruckt, dass ich mit dem Regisseur auf Du und Du war. Zum jetzigen Zeitpunkt gab es nur noch eine mögliche Antwort.
»Ja klar, kein Problem.«
»Super.« James sah uns alle begeistert an. »Achten Sie darauf, was Sie zueinander sagen. Also bitte keine dummenWitze, keine
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