Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
Vom Netzwerk:
uns zum Abendessen, und so weit ich das einschätzen konnte, war er der einzige Gast, auf den Großpapa sich freute. Sie redeten einander mit Walter und Cornelius an, was Mutter unmöglich fand, und ärgerten einander freundschaftlich in angeregten Diskussionen, in denen es um das Buch Genesis einerseits und die Fossilienvorkommen andererseits ging. Mutter gelang der große Coup, den Pfarrer zum Essen nach dem Gottesdienst an Heiligabend zu uns zu bitten.
    Einen Großteil der Stunden vor dem Heiligen Abend verbrachten wir damit, sicherzustellen, dass alle Kinder gründlich sauber geschrubbt waren, was keine leichte Aufgabe war, da dafür gewaltige Mengen Wasser erhitzt werden mussten. Schließlich versammelten wir uns alle zur Inspektion in der Eingangshalle. Ausnahmsweise einmal musste niemand zurückgeschickt werden, um Hals oder Fingernägel noch weiter zu bearbeiten.
    Es war eine klare, kalte Nacht, und wir wappneten uns dagegen mit unseren wärmsten Mänteln und Schals. Harry sperrte die Hunde ein, damit sie nicht hinter uns herkamen, und dann brachen wir alle auf, bis auf Großpapa, der zu Hause blieb, um nach dem Feuer im Salon zu sehen und ein bisschen Ruhe und Frieden zu genießen. Alberto und SanJuanna fuhren mit dem Pferdewagen nach Martindale zur Kirche Unserer Lieben Frau von Guadalupe, und Viola besuchte den Gottesdienst in ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft All God’s Children. Ich wäre gern mit ihr gegangen, doch das hätten meine Eltern mir nie erlaubt. Ich war einmal an ihrer Kirche vorübergekommen und hatte Musik gehört, die aus dem abbruchreifen verschindelten Gebäude drang. Der beseelte Gesang und die fröhlichen Rufe der Menschen waren meiner Meinung nach schöner als alles, was ich aus anderen Kirchen kannte.
    Mit Laternen in den Händen und Weihnachtslieder singend zogen wir los. Ich hielt J. B. an der Hand und zeigte ihm die verschiedenen Sternbilder.
    »Sieh mal, J. B., das da sind Canis Major und Canis Minor – das bedeutet großer Hund und kleiner Hund.«
    J. B. sah beunruhigt aus. »Aber am Himmel gibt’s doch keine Hunde, Callie.«
    »Das sind auch keine richtigen Hunde, das sind Sterne. Aber vor langer, langer Zeit fanden Leute, dass sie wie Hunde aussehen.«
    »Wie Ajax sehen sie nicht aus. Und auch nicht wie Matilda. Ich glaube, du schwindelst mir was vor, Callie. Schwindeln darf man nicht, sagt Mama.«
    Mir selbst fiel es auch schwer, einen Hund oder Stier oder Löwen in all diesen weit entfernten, stecknadelkopfgroßen Lichtpunkten zu erkennen. Wie waren die Menschen in der Antike nur auf so verrückte Einfälle gekommen?
    Wir bogen um die Ecke und standen vor der Methodistenkirche, die von bestimmt tausend Lichtern erleuchtet war. Wir setzten uns in unsere Reihe, bis auf Harry, der Miss Brown an der Orgel assistierte. Sie spielte kraftvoll, zog energisch die Register und trat wie verrückt die Pedale, während Harry die Noten umblätterte. Wir sangen Hark, the Herald Angels Sing, und die Musik erwärmte meine Gefühle für Miss Brown etwas. Aber nur ein bisschen.
    Nach dem Gottesdienst kam Mr. Barker zu Fuß mit zu uns nach Hause. Sam Houston kniff mich, aber da wir direkt hinter den Erwachsenen gingen, konnte ich es nicht wagen, laut aufzuschreien. Ich rächte mich, indem ich ihn in eine Pfütze stieß, sodass seine Schuhe nass wurden. Das würde ihm eine Lehre sein!
    Als wir um die nächste Wegbiegung kamen, konnte man schon den Rauch riechen, der verlockend duftend aus dem Kamin stieg. Viola war bereits von ihrem Gottesdienst zurück und erwartete uns mit Großpapa an der Haustür. Als wir den Salon betraten, war sie gerade dabei, Dutzende von Kerzen am Weihnachtsbaum anzuzünden. Sie flackerten wie lauter Glühwürmchen. Im Kamin loderte das Feuer, auf der Anrichte funkelte die Punschschale aus Kristallglas, und der erhitzte Wein darin duftete nach Nelkengewürz. Für uns Kinder stand in einem silbernen Krug heißer Apfelsaft bereit. Mir fiel auf, dass Harry, ohne dass jemand das kommentierte, zum ersten Mal mit den Erwachsenen Punsch trinken durfte – wieder so ein Meilenstein in der Familiengeschichte.
    Meine Eltern wollten sich gerade ihren traditionellen kurzen Kuss geben (Weihnachten war der einzige Anlass, zu dem sie sich vor ihren Kindern küssten), als Mutter sich der Anwesenheit des Pfarrers entsann und vor Verlegenheit schnell den Kopf wegbog. Vater gab ihr stattdessen einen Handkuss und murmelte »Margaret«.
    Der Pfarrer erkundigte sich bei Großpapa, ob er

Weitere Kostenlose Bücher