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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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machte einen besonders tiefen Knicks. Anscheinend war es zu viel des Guten, denn die alte Schnepfe lächelte mich verkniffen an und sagte: »Ja, guten Abend, Calpurnia, charmant wie immer, nicht wahr?« Und dabei drückte sie mir die Hand so fest mit ihrer sehnigen Klaue, dass ich aufjaulte wie ein Hund, dem man auf die Pfote tritt.
    Der Abend ging ja wirklich großartig los, und dabei war Miss Minerva Goodacre noch gar nicht erschienen.
    Ich nahm ein Silbertablett mit geräucherten Austern und bot ringsherum davon an. Dabei zählte ich nach Anweisung von Viola genau mit, wie oft meine Brüder zugriffen. Das war nicht allzu schwer, denn die jüngeren warfen nur einen Blick auf die glänzenden, schrumpeligen grauen Säckchen und wandten sich angewidert ab; nicht für Geld hätten sie eins davon probiert. Harry schlich zwischen Salon und Eingangshalle umher, sodass er genau im Blick hatte, wann der große Besuch draußen vorfuhr. Großpapa erschien mit gestutztem Bart und geglättetem Haar. In einem Knopfloch trug er eine rosarote Rose. Abgesehen von seinem mottenzerfressenen Frack sah er beinahe vornehm aus.
    Als Erste erschienen die Longorias, und Travis nahm die Kinder mit in den Stall, um ihnen seine Kätzchen vorzuführen.
    Ich ließ den Blick über meine Familie schweifen und empfand auf einmal eine große Welle der Zärtlichkeit für sie. Alle waren sie ahnungslos und spielten unschuldig ihre Rollen. Gern hätte ich die Zeit angehalten, den Moment zusammengefaltet und versiegelt und für immer in meinem Gedächtnis bewahrt. Jeden Augenblick würde er enden.
    Auf einmal kontrollierte Harry vor dem Spiegel im Eingang noch einmal seine Frisur und den Sitz seiner Krawatte. Ich schaute aus dem Fenster und sah, wie Mr. Goodacre seine Pferde anband. Harry schoss zur Tür hinaus und war gleich darauf zwei Damen dabei behilflich, aus der Kutsche auszusteigen. Eine war kräftig, die andere schlank. Er bot der schlanken – der Harpyie! – den Arm, und zusammen schritten sie zum Haus. Dabei steckten sie die Köpfe zusammen, redeten, lachten über irgendetwas, wovon wir anderen nie etwas erfahren würden. Meine Eltern gingen zur Begrüßung an die Tür, man hörte das heitere Geplauder, während man sich bekannt machte, und dann führte meine Mutter die Gäste in den Salon. Gemessen an den Umständen war meine Mutter bewunderungswürdig heiter und entspannt, das musste ich ihr lassen. Vielleicht hatte sie ja ein Stärkungsmittel genommen.
    Und da war sie: größer als erwartet, schlanker und in einem verspielten pfirsichfarbenen Kleid mit zu vielen schwarzen Knöpfen. Da waren der missmutige Mund, der lange Hals, die vortretenden Augen, das massige Haar. In der Hand hielt sie einen glitzernden pfirsichfarbenen Fächer, den sie theatralisch und mit lautem Knall aufschlug, während sie den übrigen Gästen vorgestellt wurde.
    Gerade wollte ich in die Küche entfliehen, als Harry mich herüberwinkte.
    »Miss Goodacre, darf ich Sie mit meiner Schwester bekannt machen – Calpurnia Virginia Tate. Callie, das ist Miss Minerva Goodacre.«
    Der pfirsichfarbene Fächer schlug auf und ab wie die Flügel einer Riesenmotte. Miss Goodacre sah mich mit ihren großen Glupschaugen an und sagte mit trillerndem Lachen: »Also wirklich, so ein süßes kleines Mädchen! Und so talentiert! Ich habe dich beim Vorspiel gehört.« Damit schloss sie ihren Fächer und tippte mir damit spielerisch auf die Wange, gerade ein klein wenig zu fest. Was stand mir heute Abend noch alles bevor?
    »Guten Abend, Miss Goodacre«, brachte ich krächzend hervor. »Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
    »Oh«, sagte sie, »ich bin sicher, wir werden mehr als nur Bekannte sein; ich bin sicher, wir werden schon bald gute Freundinnen. Und nun, Harry, wo ist er, dieser très amusant grand-père, von dem ich so viel gehört habe?«
    O nein, jetzt parlierte sie auch noch Französisch! Harry geleitete sie hinüber zu Großpapa, der sich tief über ihre Hand beugte, sie mit seinem Schnurrbart streifte und »Enchanté, mademoiselle« sagte. Es würde mich nicht wundern, wenn er dazu auch noch die Hacken zusammenschlug. Sie antwortete mit etwas, das wohl ein melodisches Lachen darstellen sollte. »Gute Güte, Sir, Sie sind ja wirklich entzückend!«
    Was mich anging, hatte es sich damit dann auch schon, wie man so sagt. Den Rest des Abends ignorierte sie mich. Sie promenierte mit Harry durch den Salon, während ich immer hinter ihnen herdackelte und Tabletts mit

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