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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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eine Zigarre an und schenkte sich deutlich mehr Portwein als üblich ein. Mutter sah aus, als hätte sie nur zu gern selbst ein Glas davon, und rieb sich die Schläfen.
    »Nun, Calpurnia«, sagte sie dann, »was weißt du über dieses … diese … junge Dame?«
    Ich dachte an Harrys funkelnden Blick und blies zum Rückzug. So schnell es ging, rief ich meine Bataillone zurück. »Nichts, Mutter«, sagte ich.
    »Nun komm schon. Irgendetwas muss er dir doch von ihr erzählt haben.«
    »Ich weiß gar nichts«, sagte ich.
    »Hör auf, Calpurnia. Wie hast du denn von ihr erfahren? Sag mal, was ist denn mit deinem Gesicht? Du hast ja lauter rote Flecken!«
    »Harry hat mir ihre Visitenkarte gezeigt, das war alles«, sagte ich.
    »Ihre Carte de Visite ?« Mutters Stimme wurde lauter. »Sie hat eine Carte? Wie alt ist sie denn?«
    »Ich weiß gar nichts«, sagte ich wieder.
    Mutter sah Vater an. »Alfred, sie hat eine Carte!« Mein Vater sah interessiert, aber nicht beunruhigt aus. Offensichtlich entging ihm die Tragweite dieser Tatsache.
    Meine Mutter erhob sich und fing an, auf und ab zu gehen. »Sie ist alt genug, eine Carte de Visite zu haben, und mein Sohn hat sie besucht, ohne uns etwas davon zu sagen. Er macht ihr den Hof, und wir haben sie nicht einmal kennengelernt. Und sie ist eine Leap-, ich meine, sie gehört zur Unabhängigen Kirche, Alfred.«
    Mutter fuhr auf dem Absatz herum und sah mich an. »So ist es doch, Calpurnia, oder? Sie gehört zur Unabhängigen Kirche?«
    »Ich weiß nichts.«
    »Ach, so ein nutzloses Kind! Geh auf dein Zimmer. Und dass du zu niemandem ein Wort sagst über diese Sache. Bekommst du einen Ausschlag? Bist du wieder in die Nesseln gefallen? Hol schnell Backpulver und mach dir Umschläge.«
    Ich rutschte von meinem Stuhl und flitzte in die Küche. Viola saß an ihrem Tisch und ruhte kurz aus, während SanJuanna Wasser pumpte, um die Berge von Geschirr in Angriff zu nehmen.
    »Mutter schickt mich, ich soll Backpulver holen«, murmelte ich.
    Viola sah mir ins Gesicht »Großer Gott«, sagte sie. »Wie ist das denn passiert?«
    »Nesseln«, log ich. »Ich muss Umschläge machen.«
    Viola sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. Sie hatte schon den Mund geöffnet, um etwas zu sagen, doch dann schloss sie ihn wieder. Sie stand auf und streute Natron auf ein feuchtes Tuch, das sie mir wortlos reichte. SanJuanna sah mich misstrauisch an, als könnte ich ansteckend sein.
    Beim Hinaufgehen hörte ich die Stimmen meiner Eltern aus dem Speisezimmer, die laute, aufgeregte meiner Mutter, die leise, beruhigende meines Vaters.
    Sul Ross und Lamar lagen am Ende der Treppe schon auf der Lauer und folgten mir bis zu meiner Tür.
    »Was ist denn los? Was ist mit Harry? Und was ist mit deinem Gesicht passiert? Nun sag schon!«
    Ich rannte an ihnen vorbei ins Zimmer und klatschte mir das kühlende Tuch auf die brennende Wange. Was hatte ich da bloß in Gang gebracht? Die Dinge waren außer Kontrolle geraten. Als Befehlshaberin war ich eine blutige Anfängerin, und ich war schockiert beim Anblick der Zerstörung, die meine Truppen hinterlassen hatten.
    Lange lag ich wach und wartete, dass Harry nach Hause kam. Der Halbmond stand schon am Himmel, als ich das leise Quietschen des Pferdegeschirrs und das Knirschen der Räder auf dem Kies in der Einfahrt hörte. Ich hielt den Atem an und lauschte. Im Haus war es verdächtig still. Ich stellte mir Mutter und Vater vor, in ihrem großen Mahagonibett mit den üppigen Schnitzereien, die Putten und Früchte darstellten. Bestimmt waren auch sie hellwach, wenigstens meine Mutter.
    Ich stand auf, schlüpfte in meine Hausschuhe und schlich mich an der Wand entlang, um die knarrende Diele in der Zimmermitte zu meiden, die so laut knarrte, dass es sich jedes Mal wie ein Pistolenschuss anhörte. Auch die Treppe war bekanntlich laut, also raffte ich mein weißes Baumwollnachthemd hoch und rutschte das Geländer hinunter, wie ich es mein Leben lang schon tat. Eine schnelle und stille Art der Fortbewegung, doch in der Dunkelheit schätzte ich die Strecke falsch ein, bremste zu spät und knallte hart gegen den Pfosten, was mir einen dicken blauen Flecken am Po einbrachte. Der würde mir zwei Wochen bleiben, mindestens.
    Der Mond leuchtete mir den Weg zum Stall. Ich ging auf Zehenspitzen zur Tür und sah hinein. Harry striegelte Ulysses beim Licht der Laterne und summte ein Lied, das ich auf Anhieb erkannte – I Love You Truly . Er sah so glücklich aus, auf eine Weise, wie

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