Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
Vom Netzwerk:
große Chance bei Miss Goodacre zu nehmen. Ich hatte meine besten Manieren an den Tag gelegt und wirklich keinen Anlass zu Kritik geboten. Was immer dann geschehen war – meine Schuld war es nicht gewesen. Meinetwegen war sie nicht aus unserem Haus geflüchtet. Ich war seit jeher sein Liebling gewesen, schon als ich ganz klein war, hatte er mich huckepack getragen, und so war ich grenzenlos erleichtert, als ich spürte, dass ich wieder sein Favorit war.
     
    Der Sommer ging dahin. Manchmal bat Vater Großpapa um einen Rat in Fragen, die die Farm oder die Baumwollverarbeitung betrafen. Doch es war immer schwierig für ihn, seinen Vater vom Studium der Natur loszueisen und die Aufmerksamkeit des alten Herrn auf irgendein geschäftliches Thema zu lenken. Großpapa hatte das Unternehmen einst gegründet und erfolgreich gemacht, doch jetzt mochte er sich nicht mehr damit befassen. Mir schien es seltsam, dass meine Eltern nicht begreifen konnten, dass Großpapa mit seinem alten Leben abgeschlossen hatte. Seit er mir die Geschichte von seiner Fledermaus erzählt hatte, verstand ich ihn vollkommen.
    »Mir bleiben nicht mehr viele Tage«, sagte er einmal, als wir zusammen in der Bibliothek saßen. »Warum sollte ich die mit Dingen wie Entwässerung oder überfälligen Zahlungen verbringen? Ich muss mit meinen Stunden gut haushalten und jede einzelne klug nutzen. Ich bereue es noch immer, dass ich das erst begriffen habe, als ich fünfzig wurde. Calpurnia, du tätest gut daran, dir diese Einstellung schon in jungen Jahren zunutze zu machen. Überlege dir gut, womit du die dir gegebenen Stunden nutzt.«
    »Ja, Großpapa«, sagte ich, »ich will mein Bestes tun.« Einen Stuhl für Besucher gab es in der Bibliothek nicht, daher saß ich auf dem schrägen Fußschemel, angeblich einem Kamelsattel. Der glich zwar keinem der Sättel, die ich kannte, doch er roch merkwürdig und war mit kurzem, sehr hellem Haar bedeckt, also vermute ich, dass es stimmte. Nie wurde es mir langweilig, Großpapas Sachen anzuschauen: sein Fernglas aus Messing, das er noch aus dem Krieg hatte, die großen flachen Schubladen, in denen er in mehreren Reihen hintereinander vertrocknete Eidechsen, Spinnen und Libellen aufbewahrte, eine reich verzierte schwarze Uhr, bei der zu jeder Viertelstunde ein Kuckuck mit komischer heiserer Stimme rief. Eine modrige blaue Rosette mit der verblassten Aufschrift »Bestes Mastvieh – Landwirtschaftsausstellung Fentress 1877«. Dicke cremefarbene Umschläge der National Geographic Society, die sich wie Pergament anfühlten und ursprünglich mit rotem Wachs versiegelt waren. Ein holzgeschnitzter Pfeifenständer, der eine Meerjungfrau darstellte. Sogar das Bärenfell faszinierte mich immer. Wie oft hatte ich meinen Fuß in das Maul geschoben! In dem Regal, in dem auch das kostbare Buch von Mr. Darwin gestanden hatte, war eine verschlossene Vitrine. Darin befand sich das unförmige ausgestopfte Gürteltier, das missglückteste Tierpräparat, das ich je gesehen hatte. Warum bloß hob er das auf, wo doch all seine sonstigen Exemplare mustergültige Exemplare waren?
    »Großpapa«, sagte ich, »wieso hast du dieses Gürteltier da oben? Du könntest doch bestimmt ein viel besseres bekommen.«
    »Das stimmt, das könnte ich, aber ich hebe es zur Erinnerung auf. Es war das erste Säugetier, das ich selbst ausgestopft habe. Ich habe das Präparieren in einem Fernkurs gelernt, wovon ich dir nur abraten kann. Sollte dich diese Tätigkeit interessieren, dann schlage ich dir vor, eine Lehre bei einem Meister seines Faches zu machen. Die Feinheiten dieser Kunst lassen sich nicht aus Broschüren erlernen.«
    »Ich glaube nicht, dass ich das Präparieren von Tieren lernen möchte.« Ich zeigte auf ein Bord, das randvoll mit Fossilien und alten Knochenstückchen war.
    »Eine weise Entscheidung«, sagte Großpapa. »Allein der Geruch schreckt die meisten Neulinge schon bald wieder ab. Zu meiner Ehre kann ich aber sagen, dass das zweite Gürteltier bereits viel besser gelungen ist. So viel besser sogar, dass ich es als Zeichen meiner hohen Wertschätzung dem großen Meister selbst habe zukommen lassen.«
    Ich nahm gerade einen versteinerten Trilobiten hoch und hörte nur mit einem Ohr hin. Die gleichmäßigen Querrillen dieses Steins, der einmal das weiche Fleisch eines Meerestieres gewesen war, faszinierten mich.
    »Er hatte eine Studie über das südamerikanische Gürteltier verfasst, und so fand ich, er sollte auch ein nordamerikanisches

Weitere Kostenlose Bücher