Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen
Ajax, bist ja doch ein braver Hund – nehme ich mal an.« Ich tätschelte ihn. »Aber was machen wir jetzt mit deiner Schildkröte? Travis hat schon eine in seinem Zimmer, und ich glaube nicht, dass Mutter eine zweite erlauben wird. Vielleicht solltest du ihn am Halsband festhalten, Großpapa, während ich die hier wieder freilasse.«
»Ich gehe mit ihm die Böschung hoch«, sagte Großpapa. »Er sollte nicht sehen, dass du sie freilässt, sonst fragt er sich noch, wozu seine Arbeit gut ist, und ist am Ende ganz entmutigt.« Er führte Ajax fort, und als beide außer Sichtweite waren, betrachtete ich die Schildkröte ausführlicher. Wieso hatte sie sich von einem so großen, dummen Landtier fangen lassen? War sie alt? War sie krank? Auf den ersten Blick konnte ich nichts erkennen. Sie sah aus wie alle anderen Flussschildkröten auch. Vielleicht war sie einfach nur dumm. Vielleicht wäre es dann besser, sie stirbt, damit sie nicht noch Generationen weiterer dummer Schildkrötenbabys hervorbringt. Aber jetzt war es zu spät, ich hatte mich eingemischt, also war ich jetzt auch für ihre Sicherheit verantwortlich. Während ich noch darüber nachdachte, ob ich auf meine eigene kleine Art dazu beitrug, das Überleben der am wenigsten angepassten Arten zu fördern, gab ich ihr einen Stoß, und sie verschwand blitzschnell im Wasser.
»Alles in Ordnung«, rief ich über meine Schulter. »Du kannst ihn wieder loslassen.«
Ich kletterte die Böschung hoch, und Ajax erwartete mich schon oben. Gleich schnüffelte er an mir, auf der Suche nach seiner Schildkröte. »Sie ist weg«, sagte ich und zeigte ihm meine leeren Hände. »Siehst du?« Ich könnte schwören, dass er mich verstand, denn er machte mit hängenden Ohren kehrt.
»Sie ist weg, Ajax, es tut mir leid. Sei ein braver Hund, komm her.« Ich kraulte ihm das Fell und klopfte ihm kräftig die Flanken, so wie er es gern mochte, auch wenn ich wusste, dass ich den Rest des Tages nach nassem Hund stinken würde. »Guter Hund, guter Hund«, sagte ich. Das heiterte ihn wieder ein bisschen auf, und er verzieh mir wenigstens so weit, dass er neben mir herlief, als wir Großpapa einholten.
Ajax entdeckte eine riesige Erdhöhle, so groß, wie ich schon lange keine mehr gesehen hatte. Sie sah wie ein Dachsbau aus und roch auch entsprechend. Dachse waren in unserem Teil der Welt selten geworden, und Ajax freute sich. Er steckte seine Schnauze tief hinein und schnüffelte aufgeregt.
»Was hast du da gefunden?«, rief ich Großpapa zu, der interessiert eine kleine, völlig unscheinbare Pflanze ansah. »Jetzt komm schon, Ajax.« Ich zerrte an seinem Halsband, damit er nicht gleich seine Schnauze einbüßte, falls ihm der berüchtigt reizbare Bewohner des Baus eins überzog.
»Eine Wicke«, sagte Großpapa. »Sieht aus wie eine Zottelwicke, könnte aber auch ein Mutant sein. Sieh mal, dieses überzählige Blatt hier unten.« Er knipste ein Stück vom Stängel ab und gab es mir. »Das sollten wir mal aufheben.«
So eine langweilige Pflanze! Aber ich steckte sie in ein Glas und schrieb in Druckbuchstaben ZOTTELWICKE (MUTANT?) auf das Etikett.
»Außerdem habe ich hier noch eine haarige Raupe«, sagte er. »Hast du so eine schon mal aufgezogen?« Er hielt einen Zweig hoch, auf dem die dickste, pelzigste Raupe saß, die ich je gesehen hatte, bestimmt zwei Zoll lang. (Besser gesagt, fünf Zentimeter – Großpapa hatte mir nämlich erklärt, dass echte Wissenschaftler das metrische System benutzten, das in Europa üblich war und sich bald auch in Amerika durchsetzen würde.) Der Pelz dieser Raupe sah so dick und einladend aus wie das Fell einer Katze, aber ich war nicht so dumm, sie zu streicheln. Solange ich lebte, hatte man mir erklärt, dass haarige Raupen einen böse stechen. Wie schlimm so ein Stich sein mochte, das wusste ich allerdings nicht.
»Was für eine Raupenart ist das?«, fragte ich.
»Ich kann es dir nicht mit Sicherheit sagen«, antwortet Großpapa. »Es gibt verschiedene, die mit bloßem Auge betrachtet ganz gleich aussehen. Wirklich wissen kann man es erst, wenn sie sich entpuppt und die Imago erscheint, der geflügelte Falter.«
»Und wie schlimm ist es, wenn sie einen sticht?«
»Du könntest sie ja mal berühren, dann weißt du es. Was uns zu einer wichtigen Frage bringt: Wie weit bist du im Interesse der Wissenschaft bereit zu gehen? Darüber könntest du mal nachdenken.«
Vielleicht. Oder ich gebe einem meiner kleinen Brüder einen Penny, damit er sie
Weitere Kostenlose Bücher