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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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hatte und der kaum noch nach Fisch roch. Er war vollgepackt mit meinem Notizbuch, Sammelgläsern, einem Käsebrot, einer gut verkorkten Flasche Limonade und einer aus Wachspapier gedrehten Spitztüte mit Pekannüssen.
    »Ich dachte, wir nehmen heute mal das Mikroskop mit«, sagte Großpapa. Er war schon dabei, es in sein Etui zu legen und in seinem Tornister zu verstauen. »Es ist schon alt, aber die Linsen sind gut geschliffen, und es funktioniert noch immer gut. Ich nehme an, in der Schule habt ihr moderne Geräte.«
    Ein Mikroskop war etwas sehr Seltenes und Kostbares. In der Schule hatten wir so etwas nicht. Ich wäre jede Wette eingegangen, dass dies das einzige Mikroskop zwischen Austin und San Antonio war.
    »In der Schule haben wir keins, Großpapa.«
    Er stutzte. »Tatsächlich? Das moderne Erziehungswesen ist mir ein Rätsel.«
    »Mir auch. Wir lernen Nähen und Stricken und Smoken. Und im Benimmunterricht müssen wir mit einem Buch auf dem Kopf herumlaufen.«
    »Ich finde ja, dass Lesen die sinnvollere Methode ist, den Inhalt eines Buches aufzunehmen«, sagte Großpapa. Ich musste lachen. Wieder etwas, was ich Lula erzählen musste.
    »Was wollen wir heute untersuchen?«, fragte ich.
    »Lass uns nach Algen im Teich schauen. Van Leeuwenhoek war der Erste, der das gesehen hat, was du heute sehen wirst. Er war ein Tuchhändler, so wie ich mit Baumwolle gehandelt habe.« Großpapa schmunzelte. »Du siehst, es spricht durchaus einiges für den motivierten Amateur. Was Leeuwenhoek damals sah, hatte sich niemand vorstellen können. Ah, ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Blick durch ein Mikroskop. Es war, als würde ich durch die Linse in eine andere Welt fallen. Hast du auch dein Notizbuch dabei? Heute wird es viel aufzuschreiben geben.«
    »Hier drin hab ich’s.«
    Wir gingen zum Fluss. Auf dem Weg dorthin erschreckten wir einige Rehe, die sofort durch das Unterholz davonjagten und in zwei Sekunden verschwunden waren. So kamen wir natürlich auf das Thema Rotwild, und Großpapa erzählte mir von etwas, das er die Nahrungskette nannte, und vom Platz, den jedes Lebewesen in der natürlichen Ordnung einnimmt.
    Wir kamen zu einem flachen, trüben Seitenarm des Flusses mit dichtem, moosig-grünem Bewuchs auf beiden Ufern. Die kühlere Luft und das stehende Wasser rochen nach Schlamm und Verwesung. Kaulquappen schossen aufgeregt davon, sobald unsere Schatten auf sie fielen, flussaufwärts sprang ein größeres Tier ins Wasser, möglicherweise ein Otter, vielleicht auch eine Flussratte. Ein Schwalbenpaar flog dicht über der Wasseroberfläche und fing Insekten aus der Luft.
    Wir setzten unser Gepäck ab, und Großpapa holte das Mikroskop hervor. Er nahm die Linsen, die gut geschützt in zwei Vertiefungen in der mit Veloursamt ausgeschlagenen Schachtel lagen, und setzte sie in das Rohr ein. Er zeigte mir, wie die Teile zusammengesetzt wurden. »Hier, mach du es«, sagte er. Der Messingzylinder lag schwer und kühl in meiner Hand. Mir war klar, dass Großpapa mir etwas sehr Wertvolles anvertraute. Er legte die Holzschachtel auf einen flachen Stein und stellte das Mikroskop behutsam darauf.
    »So«, sagte er und reichte mir zwei dünne Glasscheiben, »und nun such dir deinen Wassertropfen aus.«
    »Irgendeinen?«, fragte ich.
    »Ganz egal.«
    »Aber es sind so viele.«
    Er schmunzelte. »Je näher deine Probe an den grünen Wasserpflanzen ist, die hier wachsen, desto interessantere Dinge wirst du sehen.«
    Ich beugte mich hinunter, tauchte eine Fingerspitze ins Wasser, wählte meinen Tropfen aus und ließ ihn auf eine der Glasscheiben fallen. Großpapa wies mich an, die andere Glasscheibe darauf zu legen.
    »Nun legst du beide hier auf die Plattform«, sagte er dann. »Genau so. Man muss den Reflektor so drehen, dass er das Sonnenlicht im besten Winkel einfängt, das ist nicht ganz einfach. Du willst ja genügend Licht, um deine Probe gut zu beleuchten, aber wiederum nicht so viel, dass die Einzelheiten verwischen.«
    Ich hantierte eine Weile mit dem Reflektor, dann ging ich mit einem Auge nah an das Rohr, in der Erwartung, dass ich jeden Moment etwas Großartiges erblicken würde. Doch was ich sah, konnte ich nur als blassgrauen Nebel beschreiben. Was für eine Enttäuschung!
    »Ähm – Großpapa, da ist gar nichts.«
    »Nimm den Schärfenregler, hier«, – er nahm meine Hand – »und dreh ihn ganz langsam von dir weg. Nein, nicht hochschauen. Richte den Blick immer weiter auf deine Probe, während du

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