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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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drehst.«
    Eine seltsame Übung.
    »Hast du ausreichend Licht? Vergiss deinen Reflektor nicht.«
    Und dann geschah es. Auf einmal wimmelte es nur so vor meinem Auge, eine ganze Welt voll herumwirbelnder, zappelnder Lebewesen kam in mein Blickfeld. Ich erschrak fast zu Tode.
    »Ohhh!«, schrie ich auf und zuckte zurück. Um ein Haar hätte ich das ganze Gerät umgeworfen. »Puuh!«, machte ich, während ich es mit beiden Händen festhielt. Ich sah zu Großpapa auf.
    »Ich nehme an, du hast soeben deine ersten Lebewesen unter dem Mikroskop gesehen«, sagt er lächelnd. »Platon hat gesagt, das Staunen sei der Anfang der Erkenntnis.«
    »Meine Güte«, sagte ich und schaute wieder durch das Okular. Etwas mit vielen winzigen Härchen ruderte mit großer Geschwindigkeit vorbei, gleich darauf schoss etwas anderes mit einem hin und her schlagenden Schwanz vorüber, dann rollte eine stachlige Kugel durchs Bild, die mich an eine mittelalterliche Waffe erinnerte, den Streitkolben oder Morgenstern. Und immer wieder kamen zarte, durchsichtige Wesen vorbei, geisterhafte Schatten. Es war ein einziges Chaos, es war wild, es war … das Erstaunlichste, was ich je gesehen hatte.
    »Und darin schwimme ich?«, sagte ich und wünschte gleichzeitig, ich hätte es nie erfahren. »Was ist das alles?«
    »Genau das wollen wir ja herausfinden. Vielleicht solltest du ein paar von ihnen zeichnen, damit wir sie später anhand der Bücher identifizieren können.«
    »Zeichnen? Aber sie bewegen sich doch so schnell!«
    »Ja, eine Herausforderung ist das allerdings. Hier hast du einen Bleistift.«
    Ich hockte mich dicht neben das Mikroskop und schaute und zeichnete und schaute und zeichnete, so gut ich konnte. Nach einer Weile fiel mir auf, dass einige der Lebewesen immer wieder auftauchten, das machte es einfacher, sie zu zeichnen. Großpapa hantierte in der Nähe mit seinem Siebnetz, während er etwas aus einem Stück von Vivaldi vor sich hin summte. Ich kaute an meinem Bleistift und betrachtete skeptisch mein Kunstwerk, das aus lauter seltsam formlosen Gebilden bestand, die sich über die Seite verteilten.
    »Tut mir leid, aber die taugen alle nichts«, sagte ich und zeigte Großpapa die Seite.
    »Unter künstlerischem Gesichtspunkt magst du durchaus recht haben mit deiner Einschätzung. Der entscheidende Punkt ist aber doch: Sind deine Darstellungen so genau, dass du sie in der Bibliothek mit den Beispielen im Nachschlagewerk vergleichen kannst, wenn wir zurück sind? Solange das möglich ist, hast du deine Sache gut genug gemacht.«
    »Das kann schon sein, dass ich sie wiedererkenne«, sagte ich. »Aber ob ich jemals wieder in diesem Fluss schwimmen kann, das weiß ich nicht.«
    »All diese Lebewesen sind vollkommen harmlos, Calpurnia, und sie erfreuen sich an diesem Fluss schon so viel länger als du, seit Äonen. Außerdem magst du dich damit trösten, dass du im richtigen Fluss schwimmst, während diese Tierchen sich in fließendem Wasser gar nicht wohlfühlen.«
    »Na gut«, sagte ich. Trotzdem …
    Es raschelte im Gebüsch, und Ajax, Vaters Hund, trottete heran, sichtlich zufrieden mit sich, dass er uns gefunden hatte. Bestimmt war er unterwegs gewesen, um Matilda den Hof zu machen, Mr. Gates’ Jagdhündin. Sie war ein Bluetick Coonhound, und ihr einzigartiges Geheul hörte man in der ganzen Stadt. Ajax begrüßte uns nacheinander, stupste uns mit der Schnauze an, damit wir ihn streichelten, dann legte er sich ins flache, brackige Wasser und trank gierig. Eine faustgroße Schildkröte ließ sich von einem morschen Baumstamm fallen, und Ajax verfolgte sie gleich mit unsicheren Schritten. Schildkröten und andere kleinere Flussbewohner zu jagen gehörte zu seinen speziellen Freuden, doch noch nie hatte ich gesehen, dass er tatsächlich so ein Tier erwischt hatte. Er war eher der Spezialist für Vogelforschung. Doch dieses Mal steckte er zu meiner Überraschung den Kopf komplett unter Wasser, und als er ganz erschrocken wieder auftauchte, hatte er eine ebenso erschrockene Schildkröte im Maul.
    »Ajax«, sagte ich, »was machst du da? Lass das! Bring sie sofort wieder dahin zurück, wo sie hingehört.«
    Höchst zufrieden tänzelte er auf uns zu und legte uns gehorsam die Schildkröte zu Füßen, bevor er sich schüttelte und uns nass spritzte. Dann setzte er sich und sah mich erwartungsvoll an.
    »Er denkt, er hat seine Arbeit gemacht«, sagte Großpapa, »du solltest ihn loben, sonst hat dein Vater ihn vergebens abgerichtet.«
    »Ja,

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