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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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fassungsloses Schweigen. Oje! Alle sahen auf, selbst Großpapa. Doch der warf gleich darauf den Kopf in den Nacken und lachte laut, was alle Anwesenden nur noch mehr schockierte. Alle Köpfe fuhren herum, jeder sah Großpapa an. Sein Lachen war kein heiseres Wiehern, wie man es vielleicht von einem alten Mann erwarten würde, sondern überraschend kraftvoll. Fast erwartete ich, dass der Kronleuchter anfangen würde zu klirren, und ich hatte Mühe, ein Kichern zu unterdrücken.
    »Da hat sie nicht unrecht, Margaret. Reich mir doch bitte die Sauce. Ha!« Und damit hatte er das Schweigen im Raum gebrochen und mich vor jeder Form der Bestrafung, die mich sonst vielleicht erwartet hätte, gerettet. Harry zwinkerte mir zu. Lamar streckte mir die Zunge raus, aber das bekamen die Zuchtmeister am Tisch natürlich nicht mit.
    Nach dem Essen bat ich Travis, mir noch einmal seine Kätzchen zu zeigen, und wir liefen hinüber zu dem Käfig ganz hinten in der Scheune, wo eine erschöpfte Mouser in einem Nest, das sie ins Stroh gegraben hatte, über ihre wuschelige Familie wachte. Die Kleinen krochen über die Mutter und schubsten sich gegenseitig weg.
    »Guck mal, Callie, findest du nicht auch, dass Jesse James der beste von allen ist? Er schnurrt schon ganz laut, man kann ihn von weitem hören.« Er hob das Kätzchen aus dem Stroh und steckte es sich in den Ausschnitt seines Overalls, wo es sich sehr wohl zu fühlen schien, denn es begann sogleich zu schnurren, mit einer für ein so winziges Wesen erstaunlich tiefen Stimme. »Und du bist dir auch ganz sicher, dass Lula nicht ausgerechnet ihn haben will?«
    »Ganz sicher, Travis, das habe ich dir doch gesagt. So ist sie nicht.«
    »Sie ist schrecklich nett, findest du nicht auch?«
    Ich seufzte. »Travis«, sagte ich, »hör zu: Du weißt doch, dass Lamar und Sam Houston auch verliebt in sie sind, oder?«
    »Wirklich?«
    »Ja. Das wollte ich dir nur sagen.«
    »Bestimmt sind das viele Jungen.«
    Das machte mich stutzig. Ich setzte mich ins Stroh und streichelte Mouser, die aussah, als könnte sie ein bisschen Zuwendung brauchen. »Bist du denn nicht verliebt in sie?«
    »Ich glaub schon.«
    »Wie kommt es dann, dass du nicht böse bist?«
    »Auf wen?«, fragte er und kraulte Jesse James unter dem Kinn.
    »Auf Sam Houston und Lamar.«
    »Wieso sollte ich auf die böse sein?« Er betrachtete seine Kätzchen. »Welches ist das zweitbeste, was meinst du? Nach Jesse James? Vielleicht Bat Masterson – findest du nicht auch?«
    »Welches ist das?«, fragte ich.
    »Das orangefarbene. Seine Augen haben dieselbe Farbe wie Lulas. Ein bisschen grün und ein bisschen blau. Siehst du?« Er reichte mir den zappelnden Bat Masterson, und ich sah, dass seine – oder vielleicht ihre – Augen in der Tat dieselbe Farbe hatten wie Lulas. »Vielleicht sucht sie sich ja den aus«, sagte Travis.
    »Travis«, fragte ich, »du magst Lula doch nicht nur deswegen, weil sie Augen wie deine Katze hat, oder?«
    »Nein, Callie, natürlich nicht, sei nicht dumm.«
    »Okay«, sagte ich. »Und was ist mit Sam Houston? Und mit Lamar?«
    Travis sah mich verwirrt an, und ich begriff, dass er keine Ahnung hatte, wovon ich redete. Aber er würde älter werden und sich verändern und nach und nach begreifen, und zwar schon bald. »Ach, egal«, sagte ich. »Und deine Kätzchen, die sind wirklich niedlich.«
    Am nächsten Morgen lief ich mit Travis zur Schule, nachdem ich dafür gesorgt hatte, dass meine anderen Brüder vor uns aufbrachen. Lula wartete schon an der Brücke. Sie trug eine weiße Schürze und ein dunkelgrünes Haarband, durch das ihre Augen genauso grün leuchteten wie die von Bat Masterson. Sie schien sich zu freuen, Travis zu sehen. Den ganzen Rest des Weges über redeten sie über Katzen, Hunde, Pferde, die Schule, Halloween, Weihnachten und so weiter. Man würde nie denken, dass eine Zwölfjährige und ein Zehnjähriger sich so viel zu sagen hätten, doch weit gefehlt. Und zu meiner großen Erleichterung ließen die anderen Travis in Ruhe.
    Auf dem Heimweg änderte sich das allerdings. Travis hängte sich wieder an Lula, und Lamar tat es ihm nach. Am liebsten wäre ich vorweggelaufen, doch ich spürte, dass Gefahr in der Luft lag.
    »Hi, Lula«, sagte Lamar. Er witterte eine günstige Gelegenheit. »Soll ich dir deine Bücher nach Hause tragen?«
    Lula und Travis wurden beide rot. »Danke schön, Lamar«, sagte sie und reichte ihm die Bücher, die sie wie wir alle mit einem Gurt zusammengebunden hatte.

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