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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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»Gut, das mache ich. Ich tue einfach so, als hätte ich von nichts eine Ahnung.«
    »Was dir nicht schwerfallen dürfte«, sagte er und duckte sich schnell unter der Tür hindurch.
    »Sehr witzig!«, rief ich ihm hinterher. Am liebsten hätte ich ihm etwas an den Kopf geworfen, doch das Einzige, was ich gerade greifbar hatte, war mein Notizbuch, niemals würde ich mit dem um mich werfen.
    Am nächsten Schultag traf ich mich wie immer mit Lula an der Hauptstraße. Von da aus liefen wir die letzte Viertelmeile zur Schule zusammen und redeten über dies und das. Als ich zufällig einmal zurückschaute, sah ich meine Brüder in gleichmäßigen Abständen hinter uns auf der Straße, und alle drei hatten sie die Augen fest auf Lula gerichtet. Oje. Es war ja alles schlimmer, als ich gedacht hatte. Diese plötzliche Veränderung in ihnen regte mich auf. Waren sie nicht alle noch zu jung dafür? Wieso konnte ich nicht einfach eine ganz normale Familie haben, so wie andere Mädchen auch? Und warum mussten die Jungs alle gleichzeitig von dieser Krankheit befallen werden?
    In der großen Pause schafften es die drei, nahe an der unsichtbaren Linie zu stehen, die die Mädchenseite auf dem Schulhof von der Jungenseite trennte. Sie lehnten an Bäumen, und man hätte meinen können, sie lungerten planlos herum, wären ihre Augen nicht mit gespielter Gleichgültigkeit auf Lula gerichtet. Nur von Zeit zu Zeit warf jeder der drei den anderen mörderische Seitenblicke zu.
    Lula und ich spielten Himmel und Hölle. Ihr silberblonder Zopf blitzte in der Sonne wie etwas Lebendiges. Ihre Petticoats flogen beim Hüpfen kniehoch, und ich hörte einen erstickten Laut von Lamar, so als ob ihm die Luft wegbliebe. Ich funkelte ihn böse an. Noch vor einem Monat hätte Lula im Unterhemd über den Hof laufen können, ohne dass er sie bemerkt hätte. Und jetzt so was! Harte Zeiten kamen auf mich zu.
    »Lula?«, sagte ich und kickte meinen Stein übers Spielfeld.
    »Was?«
    »Ach nichts. Egal.«
    »Nein, jetzt sag schon, Callie.«
    »Ähm – ich hab mich gefragt, ob du …« Ich hatte mein großes Indianerehrenwort gegeben, nichts zu sagen. Und obwohl ich persönlich noch nie von jemandem gehört hatte, der nach einem gebrochenen Versprechen tot umgefallen wäre, wollte ich doch nichts riskieren.
    »Ob ich was?«, fragte Lula.
    Ich überlegte schnell. »Ob du wohl meinst, wir sollten Dovie fragen, ob sie mitspielen will.«
    »Ich dachte, du magst Dovie nicht.«
    »Na ja«, sagte ich hüpfend, »ich hab nie gesagt, dass ich sie nicht mag …«
    »Doch, Callie, letzte Woche. Genau das hast du gesagt.«
    »Es wäre aber doch christlich, sie einzuladen. Meinst du nicht, wir sollten sie fragen?«
    Lula sah mich nachdenklich an. »Wenn du willst.«
    Ich wollte nicht, ich konnte Dovie nicht ausstehen, aber ich ging zu ihr hin. Gerade wollte ich sie fragen, als Miss Harbottle ihre Glocke läutete. Dovie warf mir einen argwöhnischen Blick zu. In letzter Zeit erhielt ich so einige argwöhnische Blicke. Verdient hatte ich keinen von ihnen.
    Wir marschierten wieder zurück ins Schulgebäude, die Mädchen in einer langen Reihe, die Jungen in einer anderen. So langsam graute es mir vor dem Heimweg, und ich versuchte schon, mir Ausreden einfallen zu lassen, um allein laufen zu können. Miss Harbottle merkte sofort, dass ich in Gedanken ganz woanders war, und rief mich andauernd auf. Von ihren Fragen zur texanischen Geschichte konnte ich nicht eine beantworten, sehr zum Vergnügen der Klasse.
    »Calpurnia Tate, kann es sein, dass wir dich unterbrechen?«, sagte sie.
    »Unterbrechen? Nein, Ma’am, ich mache doch gar nichts.«
    »Eben. Wo hast du denn heute deinen Kopf?«
    »Ich muss ihn zu Hause gelassen haben, Miss Harbottle.« Die Klasse kicherte.
    »Werd nicht frech, Calpurnia. Du stellst dich jetzt in die Ecke und bleibst da eine Stunde. Und sollte ich noch weitere Kommentare von dir hören, dann gibt es was mit der Rute.«
    Eine Stunde lang stand ich mit dem Gesicht zur Wand in der Ecke und dachte über meine Brüder nach, allerdings ohne Ergebnis. Schließlich kam die Mittagspause.
    Wir nahmen unsere Blechdosen und verteilten uns unter die Bäume. Lamar und Sam Houston saßen jeder bei ihren Freunden. Travis tat mir leid, der jüngste und zarteste der Bande, er saß ganz allein und aß und bedachte Lula immer wieder mit herzzerreißend sehnsüchtigen Blicken.
    Lula bemerkte ihn und fragte: »Was ist denn mit Travis los? Ist er krank?«
    »Ich glaube, er hat

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