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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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in der Nähe sein würde. Zu meiner Erleichterung wählte sie Belle Star.
    Auf unseren Schulwegen behielt ich Lamar und Sam Houston ständig im Auge, und ich wurde es furchtbar leid. Irgendwann konnte ich es nicht mehr aushalten, und eines Tages rief ich die beiden nach dem Essen auf die Veranda. »Hört mal, das geht nicht, dass ihr Lula und mir ständig hinterherlauft. Ihr müsst uns in Ruhe lassen. Und ihr müsst euch auch gegenseitig in Ruhe lassen. Wenn ihr nicht versprecht, euch ihretwegen nicht zu streiten, dann sorge ich dafür, dass sie mit keinem von euch je wieder ein Wort spricht. Und zwar so lange ihr alle lebt.«
    Ich weiß nicht, wie ich das hinbekommen habe, aber ich war die Lula-Expertin in diesem Haus, die beste Freundin ihrer Angebeteten, und ich sprach mit so tiefer Überzeugung, dass sie mir glaubten.
    »Wir machen es so«, sagte ich. »Jeder darf einen Tag in der Woche mit uns laufen. Travis, du bekommst den Montag, Lamar bekommt den Mittwoch und Sam Houston den Freitag. Fertig.«
    »Und was ist mit Dienstag und Donnerstag? Wer bekommt die?«, wollte Sam Houston wissen.
    »Keiner. Da lasst ihr uns allein. Und das meine ich ganz ernst. Irgendwelche Fragen?«
    Zu meiner großen Zufriedenheit gab es keine.

 
     
     
    Elftes Kapitel
     
    STRICKSTUNDEN
     
    Natürliche Selektion kann die Struktur der Jungen im Verhältnis zu den Eltern und der Eltern im Verhältnis zu den Jungen modifizieren.
     
     
    Das von mir entworfene Lula-System funktionierte ganz gut, zumindest einige Wochen lang. Ich lud sie ein, nach der Schule mit mir zusammen Klavier zu spielen, und auf Bitten meiner Mutter studierten wir mehrere populäre Duette ein. Wir wussten, wir würden sie nicht beim nächsten Vorspiel zum Besten geben müssen – bei keinem Vorspiel überhaupt. Doch dann machte ich den Fehler, sie einzuladen, damit wir gemeinsam an unseren Handarbeiten für die Schule weitermachten. Das gab Mutter Gelegenheit, sich Lulas Stiche genau anzusehen. Herr im Himmel, wie hatte ich nur so dumm sein können?
    »Calpurnia«, sagte Mutter ein paar Tage später, in einem Ton, der nichts Gutes verhieß. »Ich finde, es ist Zeit, dass du aufhörst, Schals zu stricken, und mit Socken beginnst. Es geht nichts über ein Paar warme weiche Wollsocken, die von liebenden Händen angefertigt wurden. Wenn wir jetzt damit beginnen, hast du genug Zeit, um all deinen Brüdern bis Weihnachten ein Paar zu stricken, vielleicht sogar deinem Vater und deinem Großvater. Wäre das nicht schön? Geh, hol deinen Strickbeutel, dann setzen wir uns zusammen in den Salon.«
    Damit ging’s los.
    Seufzend legte ich mein Vergrößerungsglas beiseite. Ich war gerade dabei gewesen, ein besonders schönes Exemplar eines Schmetterlings zu präparieren, eines Limenitis archippus, der unter Glas und in einem Rahmen neben Großpapas Exemplaren in der Bibliothek hängen sollte, doch es regnete draußen, und diese Arbeit, für die man viel Fingerspitzengefühl brauchte, war ohne direktes Sonnenlicht noch schwieriger.
    Mutter schien sich an der neuen Wolle zu freuen, die sie aus ihrem eigenen Beutel zog, in dem sie Nadeln jeder Größe angesammelt hatte. Es war wirklich schöne Wolle in einem dunklen Schokoladenbraun, die zu dicken Strängen gebunden war. Mutter steckte die Hände durch den Strang und streckte dann die Arme wie zwei Paddel aus. Meine Aufgabe war es, die Wolle vom Strang abzuwickeln und zu einem dicken Knäuel neu aufzuwickeln. Auch wenn ich nicht gerade begeistert war von der Aussicht, Socken zu stricken, so hatte das rhythmische Hin und Her der Hände eine hypnotische Wirkung auf mich, und widerstrebend musste ich mir eingestehen, dass man einen Regentag auf schlechtere Arten verbringen könnte. Könnte. Mutter wirkte bei diesem zeitlosen häuslichen Ritual auch ganz ruhig und entspannt; Stricken schien stets ein gutes Hilfsmittel gegen ihre Kopfschmerzen, dann nahm sie auch seltener Zuflucht zu Lydia Pinkhams Kräuterelixier.
    Es hatte leicht abgekühlt, und auch wenn man sich noch nicht ganz sicher sein konnte, dass wir den Sommer hinter uns gebracht hatten, so förderte ein kleines Feuer aus Pekanholz im Kamin doch immerhin die Illusion. Travis kam in den Salon, in Begleitung von Jesse James und Billy the Kid. Er ließ einen Wollfaden vor ihren Nasen hin und herschwingen, und gleich sprangen sie herum und tollten über den Teppich. Auch Lamar kam herein und legte auf Mutters Bitte hin eine Grammophonplatte mit Liedern von Franz Schubert

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