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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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Wir gingen weiter, und eine Weile herrschte beklommenes Schweigen. Dann sagte Lamar: »Sag mal, Lula, wieso läufst du eigentlich mit so einem Wickelkind wie Travis nach Hause? Wieso gehst du nicht lieber mit einem richtigen Mann wie mir?« Er ließ seine Armmuskeln spielen. »Sieh mal, Lula, zäh wie Lederschnüre.«
    Ach Lamar, das hättest du nicht sagen dürfen. Sieh doch nur Travis’ Miene. Und Lulas.
    »Ich bin kein Wickelkind«, rief Travis mit einer so piepsigen, unsicheren Stimme, dass er natürlich erst recht wie eins wirkte.
    »Ich bin kein Wickelkind«, äffte Lamar ihn nach.
    »Hör auf damit, Lamar«, sagte ich, »sei nicht so gemein.«
    »Was für ein Wickelkind! Muss sich von seiner Schwester verteidigen lassen. Schreibaby.«
    Das, und dazu noch vor Lula, war zu viel für Travis. Der sanftmütigste meiner Brüder ließ seine Bücher fallen, stürzte sich auf Lamar und schubste ihn mit aller Kraft. Lamar stolperte und ließ Lulas Bücher und seinen Henkelmann fallen, schaffte es aber, stehen zu bleiben. Ich sah Lamar an, dass er von diesem Ausbruch überrascht war, gekränkt war er jedoch nicht im Geringsten. Er brüllte gleich noch einmal: »Baby!«
    Travis kämpfte mit den Tränen. Er fuhr herum und rannte so schnell wie möglich nach Hause. Staub wirbelte auf unter seinen Füßen. »Baby! Feigling!«, brüllte Lamar ihm hinterher. Aber ich wusste, es war nicht aus Feigheit, dass Travis so davonrannte. Er wollte sich nicht blamieren, indem er vor Lula in Tränen ausbrach. Wie ein Baby.
    Wir drei standen auf der Straße und schwiegen betreten. Ich hob Travis’ Bücher auf. Lula räusperte sich und sagte: »Ich muss nach Hause. Tschüss.« Sie bückte sich nach ihren eigenen Büchern und hatte sie schon eingesammelt, bevor Lamar ihr zuvorkommen konnte. Dann rannte sie los, mit hüpfendem Zopf.
    »Hey, Lula«, rief Lamar ihr nach. »Hey, Lula!« Doch sie ließ sich nicht anmerken, ob sie ihn gehört hatte, sondern rannte einfach weiter.
    »Lamar«, sagte ich, »manchmal kannst du so ein unglaubliches Ekel sein.«
    »Wovon redest du denn? Er ist doch auf mich losgegangen. Er hat mich geboxt. Er hat mir wehgetan !«
    »Hat er gar nicht. Und ich werde Mutter sagen, was du gemacht hast.«
    »Petze«, sagte er.
    »Scheusal«, sagte ich.
    »Klatschtante.«
    »Gemeiner Kerl.«
    »Ich geh nicht weiter mit dir.«
    »Ein Glück! Ich will nämlich auch nicht mit dir gehen.«
    »Ich geh voraus.«
    »Nein, ich geh voraus.«
    »Dann geh doch!«
    Wutschäumend kamen wir beide zu Hause an, schneller als sonst.
    Tratschen und Petzen war in unserer Familie schlecht angesehen, warum, weiß ich nicht. Jedenfalls überlegte ich noch hin und her, was mich teurer zu stehen kommen würde – reden oder nicht reden –, als ich zur Haustür hereinkam. Die Entscheidung nahm mir Mutter ab, die mich in den Salon rief.
    »Calpurnia. Komm her und sag mir, was mit Travis ist.«
    »Ähm – vielleicht solltest du besser Lamar fragen«, antwortete ich. Lamar versuchte gerade, durch den Flur davonzuschleichen.
    »Lamar, komm herein, ich hätte gern eine Erklärung«, sagte sie. Travis saß zu Mutters Füßen und umschlang ihre Knie. Sein Gesicht war rot und geschwollen, und er sah Lamar zornig an.
    »Was ist heute in der Schule vorgefallen?«, fragte sie. Sie deutete mit dem Kopf auf Travis. »Er will mir nichts sagen.«
    Lamar schien überrascht. Damit hatte er nicht gerechnet.
    »Lamar?«, sagte Mutter. Er sah weg und wollte nicht antworten.
    »Calpurnia? Was ist passiert?« Ich sah Travis an, um in seinem Gesicht zu lesen, was er wollte, doch seine Miene war völlig ausdruckslos. »Calpurnia, ich bitte dich nicht, mir zu erzählen, was los war – ich befehle dir, es mir zu sagen, und zwar jetzt sofort.«
    Also redete ich. Ich konnte nur hoffen, dass beide Brüder verstanden, dass ich einen Befehl hatte und keine Wahl. Mutter hörte schweigend zu, wie ich die ganze Geschichte erzählte, angefangen mit Lula. Zu meiner Überraschung sah sie eher traurig als ärgerlich aus. Dann bekamen beide leichte Strafen in Form von zusätzlicher Hilfe im Haus, und wir hofften, dass die Sache damit ausgestanden war.
    Aber Jungs sind nun mal Jungs, und Lula war eine Schönheit, und folglich war sie das nicht.
    Die nächsten Tage waren für mich und sicher auch für Travis ein Hexenkessel der Angst. Lula kam irgendwann, um sich ein Kätzchen auszusuchen, aber wir hatten den Termin sorgfältig gewählt, um sicher zu sein, dass keiner meiner Brüder

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