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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Kelly
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Vorhaben war. Trotzdem …
    Als der große Tag endlich da war, präsentierte sich ein Dutzend unserer hoch- und nicht so hochgewachsenen jungen Damen in ihren schlichtesten Hüten und mit Empfehlungsschreiben in den Händen, die in strahlendweißen Handschuhen steckten. Sie stellten sich in einer langen Reihe auf den erhöhten Holzplanken vor dem Büro der Zeitung auf, wo sie stundenlang ausharrten. Manche von ihnen stellten sich auf die Zehenspitzen und reckten sich. Wenn sie hineingingen, mussten sie sich mit dem Rücken zur Wand aufstellen und den Abstand zwischen ihren Fingerspitzen messen lassen. Es stellte sich heraus, dass sie jemanden mit langen Armen brauchten, der über die ganze Breite des Schaltbretts hin die Stöpsel der Verbindungskabel einstecken konnte. Am Ende des Tages wurde verkündet, dass Miss Honoria Goates aus Staples unsere Telefonistin werden würde. Die Entscheidung löste beträchtliches Murren aus. Sicher, Miss Goates war groß, und lange Arme mochte sie auch haben, aber bei uns in Fentress gab es ja wohl auch jede Menge netter junger Damen, oder? Immerhin hieß die Firma doch Fentress Telephone Company , oder? Warum dann also eine Fremde aus Staples anheuern, einem Ort, der vier Meilen entfernt lag? Würde sie das möblierte Zimmer und die dazugehörige Verpflegung annehmen, oder würde sie sich täglich selbst herkutschieren? Falls ja – was würde sie dann bei schlechtem Wetter machen? Und so weiter und so weiter.
    Honoria Goates und ihr Blechkoffer kamen zwei Tage später an und wurden in einem winzigen Zimmerchen einquartiert, das kaum größer als ein Kleiderschrank war und in dem neben einem Bett auch das Schaltbrett untergebracht war, sodass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit Anrufe entgegennehmen konnte. Ihre Mahlzeiten wurden ihr aus Elsie Bells Pension unten in der Straße geliefert. Solchen Luxus hatte man bei uns noch nie gesehen.
    Allerdings sollte sich bald zeigen, dass es völlig egal war, dass Honoria aus Staples kam oder lange Arme hatte. Was die Telefongesellschaft nicht wusste (aber sonst absolut jeder) war, dass Honorias Onkel, Homer Ray Goates, beim Pflügen vom Blitz erschlagen worden war. Honoria selbst hatte ihn gefunden, verkohlt und noch leise qualmend. Mr. Goates überlebte, hatte aber sein Gehör weitgehend verloren und musste seit damals mit einem großen Hörrohr herumlaufen. Außerdem entwickelte er eine Neigung zu plötzlichen wüsten Lachanfällen ohne jeden Grund, die einerseits irritierend waren, ihn andererseits aber auch zu unterhaltsamer Gesellschaft machte.
    Die arme Honoria aber lebte seitdem in Todesangst vor Elektrizität, und wem wäre es an ihrer Stelle nicht so gegangen? Und so kam es, als sie mit dem Leiter der Telefonzentrale am Schaltbrett stand und ihr erstes Kabel einstecken sollte, dass sie laut schreiend davonrannte. Sicher befürchtete sie, genau wie ihr Onkel verbrannt zu werden, von irgendeinem teuflischen Funken, der durch die Leitungen sprang. Sie stolperte über die Brücke, nahm sich nicht einmal Zeit, ihre Sachen mitzunehmen, und rannte den ganzen Weg zurück nach Staples, laut weinend wegen der Blamage. Ihr Vater schickte am nächsten Tag jemanden, der ihre Truhe abholen sollte.
    Maggie Medlin, Backy Medlins Großnichte, bekam dann Honorias Stelle. Sie war kleiner, aber von kräftigerer Statur. Ihre grässliche jüngere Schwester Dovie sonnte sich im Abglanz dieser Ehre und leitete von da an jeden Satz ein mit den Worten: »Also, meine Schwester, die Telefonistin, sagt …«
    Alle hassten wir sie deswegen.
    Endlich war es so weit, die Arbeiter der Firma Bell erreichten Fentress, und der große Tag kam, an dem die Telefonvermittlung eröffnet werden sollte. Der Vertreter der Telefongesellschaft kam mit dem Zug aus Austin angefahren. Da im Zeitungsgebäude nicht genug Platz für die Feierlichkeiten war, versammelten wir uns alle auf der Straße davor. Eine Blaskapelle spielte kurz, die Moose Band schon etwas länger, und die International Woodmen of the World, die Kapelle mit den wenigsten Mitgliedern, wollte anscheinend gar nicht mehr aufhören. Der Bürgermeister und der Mann von der Telefongesellschaft hielten lange, langweilige Reden darüber, was für ein großer Tag dies doch sei. Bürgermeister Axelrod schnitt mit einer übergroßen Pappschere ein breites rotes Band durch. Damit war die Telefonvermittlungsstelle von Fentress offiziell eröffnet. Alles jubelte, Hände wurden geschüttelt, es gab Freibier und Limonade. Sam

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